Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Ermessensausübung in den Fällen des § 152 Abs. 1 AO neue Fassung bei Ersetzung eines bisher gebundenen Verspätugszuschlags durch einen nunmehr im Ermessen stehenden Verspätungszuschlag nach § 152 Abs. 1 AO neue Fassung.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Finanzbehörde ist befugt, gebundene Verwaltungsakte in Ermessensentscheidungen zu ändern, ohne zuvor den gebundenen Verwaltungsakt aufzuheben, um danach unmittelbar eine Ermessensentscheidung zu treffen.

2. Wird ein zu einer Nachzahlung führender geschätzter Umsatzsteuerbescheid geändert, ergibt sich nunmehr eine Erstattung und will die Finanzbehörde den ursprünglich festgesetzten Verspätungszuschlag beibehalten, so darf die Finanzbehörde von der ursprünglich gesetzlich gebundenen Festsetzung eines Verspätungszuschlags gemäß § 152 Abs. 2 AO zur ermessensgeleiteten Festsetzung des Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 1 AO übergehen.

3. Bringt die Behörde dabei zum Ausdruck, dass ihr die Wahlfreiheit zur Beibehaltung des Verspätungszuschlags bekannt ist und sie ihr Ermessen zur Beibehaltung ausüben will, und stellt sie die Erwägungen, die aus ihrer Sicht Anlass für die Festsetzung/Beibehaltung des Verspätungszuschlags geben, nämlich die eingetretene Verspätung bei der Steuererklärungsabgabe, dar, so ist die Ermessensausübung ausreichend begründet. Es wird nicht der Auffassung gefolgt, dass im Rahmen des § 152 Abs. 1 AO neue Fassung der § 152 Abs. 2 AO alte Fassung in der Weise weiterhin anwendbar bleibt, dass nunmehr die Finanzbehörde im Rahmen des Entschließungsermessens alle zuvor in § 152 Abs. 2 AO alte Fassung vorgegebenen Begründungselemente beachten und auf diese eingehen muss (gegen FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil v. 27.4.2023, 4 K 394/21, EFG 2024 S. 257).

4. Weitere Erwägungen können allenfalls dann erforderlich werden, wenn angesichts der Höhe des Verspätungszuschlags und der wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen dazu Anlass besteht, etwa, wenn offensichtlich ist, dass es sich um einen wirtschaftlich nicht leistungsfähigen Steuerpflichtigen handelt.

5. Da § 152 Abs. 1 AO die Festsetzung eines Verspätungszuschlags auch in den Fällen des § 152 Abs. 3 AO ermöglicht, lässt der Gesetzgeber erkennen, dass ein Verspätungszuschlag auch ohne einen wirtschaftlichen Vorteil des Steuerpflichtigen festgesetzt werden kann, um den zeitgerechten und effektiven Ablauf des Veranlagungsgeschäfts sicherzustellen.

 

Normenkette

AO §§ 5, 149 Abs. 3, § 152 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 3 Nr. 2, Abs. 5 S. 2, Abs. 9 S. 1, Abs. 8, 10, 12 S. 2; FGO § 102 Sätze 1-2

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte zu Recht einen Verspätungszuschlag gegenüber dem Kläger festgesetzt hat.

Der Kläger erzielte im Streitjahr Umsätze als Softwareentwickler.

Seine Steuererklärungen fertigte er jedenfalls in den Jahren 2018 bis 2020 mit Hilfe eines Steuerberaters an. Seine Umsatzsteuererklärungen 2018 und 2019 reichte der Kläger im Mai 2023 beim Beklagten ein. Für beide Veranlagungszeiträume ergingen zunächst Umsatzsteuerfestsetzungen nach geschätzten Besteuerungsgrundlagen.

Im Streitjahr erzielte der Kläger ausweislich seiner Anlage EÜR einen Gewinn in Höhe von 92.244,64 EUR. Ab dem 01.02.2021 war er nichtselbständig tätig und erzielte keine Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit mehr.

Da der Kläger zunächst seine Umsatzsteuererklärung 2020 nicht einreichte, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und setzte davon ausgehend mit Bescheid vom 27.02.2023 die Umsatzsteuer auf 25.500,00 EUR fest, was zu einer Nachzahlung in Höhe von 6.477,68 EUR führte (getilgt 19.022,32 EUR). Gleichzeitig setzte er einen Verspätungszuschlag in Höhe von 175,00 EUR fest.

Gegen diese Bescheide legte der Kläger am Montag, dem 03.04.2023 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 10.10.2023 als unbegründet zurückwies.

Darauf hat der Kläger am 06.11.2023 seine Umsatzsteuererklärung 2020 elektronisch an den Beklagten übermittelt und eine Umsatzsteuer in Höhe von 19.014,50 EUR erklärt.

Am 13.11.2023 hat der Kläger wegen Umsatzsteuer 2020 nebst Verspätungszuschlag dazu Klage erhoben.

Der Beklagte hat der Klage mit Bescheid vom 15.01.2024 hinsichtlich der Umsatzsteuer 2020 abgeholfen, jedoch verfügt, dass der bisher festgesetzte Verspätungszuschlag unverändert bestehen bleibt. Dazu hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 04.01.2024 an das Gericht (gerichtsseitig der Bevollmächtigten des Klägers per elektronischem Rechtsverkehr übermittelt am 09.01.2024) erläutert: Nachdem die Umsatzsteuer wie erklärt festgesetzt worden sei, komme die Festsetzung eines Verspätungszuschlags nur noch nach Ausübung des dem Finanzamt eingeräumten Ermessens gemäß § 152 Abs. 1 Abgabenordnung –AO– in Betracht, wobei die Höhe des Verspätungszuschlags durch § 152 Abs. 5 Satz 2, Abs. 10 AO vorgegeben sei. Die Festsetzung des Verspätungsz...

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