Entscheidungsstichwort (Thema)
Begründung der Ermessensausübung zur Beibehaltung eines Verspätungszuschlags bei Ersetzung eines zu einer Nachzahlung führenden Steuerbescheids durch einen nunmehr zu einer Erstattung führenden geänderten Steuerbescheid. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: XI R 19/24)
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Finanzbehörde ist befugt, gebundene Verwaltungsakte in Ermessensentscheidungen zu ändern, ohne zuvor den gebundenen Verwaltungsakt aufzuheben, um danach unmittelbar eine Ermessensentscheidung zu treffen.
2. Wird ein zu einer Nachzahlung führender geschätzter Umsatzsteuerbescheid geändert, ergibt sich nunmehr eine Erstattung und will die Finanzbehörde den ursprünglich festgesetzten Verspätungszuschlag beibehalten, so muss sie ihre nunmehr erforderliche Ermessensausübung nach § 152 Abs. 1 AO begründen, auf die für den konkreten Sachverhalt bedeutsamen Tatsachen eingehen und diese in ihre Ermessensentscheidung einfließen lassen. Dafür gibt § 152 Abs. 2 AO alte Fassung auch nach seiner Änderung in der neuen Fassung (§ 152 Abs. 1 AO neue Fassung) Anhaltspunkte, was im Rahmen der Festsetzung eines Verspätungszuschlages für eine Ermessensentscheidung für bedeutend gehalten werden kann.
3. Wird zur Begründung lediglich angeführt, die Steuerpflichtige habe bereits Umsatzsteuererklärungen für Vorjahre nicht eingereicht und die verspätete Einreichung der aktuellen Umsatzsteuererklärung sei damit eine wiederholte Nichtabgabe /verspätete Abgabe einer Steuererklärung, auf andere bedeutsame Tatsachen (z. B. Folgen der Pflichtverletzung für den wirtschaftlich nicht erfolgreichen Steuerpflichtigen und Auswirkungen des Verspätungszuschlags auf die wirtschaftliche Situation usw.) aber nicht eingegangen, so ist der Verspätungszuschlag ermessensfehlerhaft und aufzuheben.
4. Die Höhe des Verspätungszuschlages, die bei einer Festsetzung anzusetzen ist, muss, damit sie nicht unberücksichtigt bleibt, bereits im Entschließungsermessen berücksichtigt werden (FG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 27.4.2023, 4 K 394/21, EFG 2024 S. 257).
Normenkette
AO §§ 5, 152 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 3 Nr. 2, Abs. 5 S. 2, Abs. 9, 7-8, 10, 12 S. 2; FGO § 102 Sätze 1-2
Tenor
Der Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Umsatzsteuer 2018 vom 18.01.2023 und der Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Umsatzsteuer 2018 vom 24.08.2020 in Gestalt der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 08.03.2022 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt war, gegenüber der Klägerin einen Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 2018 festzusetzen.
Die Klägerin ist eine Unternehmergesellschaft –UG–, deren Gegenstand die Verwaltung eigenen Vermögens ist. Sie erzielte im Gründungsjahr 2015 nach der eingereichten Umsatzsteuererklärung 600,00 EUR Umsatz, der nach der Körperschaftsteuererklärung zu einem Verlust in Höhe von 3.147,00 EUR führte. In den Umsatzsteuervoranmeldungen 2016 erklärte die Klägerin Umsätze in Höhe von 2.400,00 EUR. Jahreserklärungen für 2016 und 2017 reichte die Klägerin nicht ein. Der Beklagte schätzte für 2016 Umsätze in Höhe von 2.500,00 EUR und 2017 Umsätze in Höhe von 3.600,00 EUR. Dies führte aufgrund einer Vorsteuerschätzung für 2016 zu einer Umsatzsteuer in Höhe von null Euro. Für 2017 berücksichtigte der Beklagte keine Vorsteuer und setzte daher eine Umsatzsteuer in Höhe von 684,00 EUR fest. Die Gewinne der Klägerin schätzte der Beklagte für 2016 und 2017 mit jeweils null Euro und für 2018 in Höhe von 500,00 EUR.
Am 24.08.2020 erließ der Beklagte einen Bescheid für 2018 über Umsatzsteuer, Zinsen und Verspätungszuschlag, mit dem er die Umsatzsteuer 2018 auf 760,00 EUR ausgehend von Umsätzen in Höhe von 4.000,00 EUR und einen Verspätungszuschlag in Höhe von 325,00 EUR festsetzte. Vorsteuer berücksichtigte der Beklagte nicht. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung –AO–. Dabei schätzte er die Besteuerungsgrundlagen, weil die Klägerin noch keine Umsatzsteuererklärung eingereicht hatte. Den Bescheid übersandte er der Klägerin mit Zustellungsurkunde. Danach wurde der Bescheid am 25.08.2020 durch Einwurf in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten zugestellt.
Am 25.09.2020 legte die Klägerin mit ihrem Einspruchsschreiben vom selben Tage Einspruch unter anderem „gegen den Schätzbescheid betreffend Umsatzsteuer und die Festsetzung eines Verspätungszuschlages” ein. Während des Einspruchsverfahrens ging am 30.11.2020 die Umsatzsteuererklärung 2018 der Klägerin auf elektronischem Weg beim Beklagten ein. Die Klägerin erklärte darin neben Umsätzen in Höh...