rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Wegzugsbesteuerung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG bei Wegzug nach Kanada trotz weiter bestehenden Besteuerungsrechts Deutschlands: keine teleogische Reduzierung. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Anwendungsbereich von § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG ist nicht teleologisch zu reduzieren. Insbesondere kommt es nicht in Betracht, das aus § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG herrührende Tatbestandsmerkmal des Ausschlusses oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG hineinzulesen.

2. Die Wegzugsbesteuerung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG in Verbindung mit § 17 EStG ist auch bei einer wortlautorientierten Auslegung verfassungsgemäß, verstößt weder gegen die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Ausreisefreiheit noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG und führt auch nicht im Hinblick auf die Besteuerung künftiger Gewinnausschüttungen der Kapitalgesellschaft zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Doppelbesteuerung.

 

Normenkette

EStG § 17 Abs. 1 S. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. a; AStG § 6 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 4; DBA-Kanada 2001 Art. 13 Abs. 4 S. 1 Buchst. a; AEUV Art. 63; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anwendung der Vorschriften über die sogenannte Wegzugsbesteuerung.

Der 1989 geborene Kläger, der seit 1993 in C. ansässig war und mindestens seit 2015 (auch) in Kanada lebt, war im Streitjahr zunächst noch im Inland unbeschränkt steuerpflichtig. Mit Ablauf des 26. April 2017 gab er seinen inländischen Wohnsitz endgültig auf. Zu diesem Zeitpunkt war er als Kommanditist mit einem vermögensmäßigen Anteil von 10 % an der vermögensverwaltend tätigen B. KG (nachfolgend KG) in C. beteiligt. Die KG wiederum hielt 94,737% des Stammkapitals der D. GmbH (nachfolgend GmbH), einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft, deren Aktivvermögen zu mehr als 90 % aus Grundbesitz bestand.

Mit der Einkommensteuererklärung 2017 erklärte der Kläger als gewerbliche Einkünfte in Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 1 Außensteuergesetz in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung (AStG) einen fiktiven steuerlichen Veräußerungsgewinn im Zusammenhang mit seiner Beteiligung an der KG i. H. v. 2.700.304 EUR. Dem lag eine auf der Basis von Sachverständigengutachten durchgeführte Ermittlung des gemeinen Werts nicht notierter Anteile an der GmbH zugrunde, die den Substanzwert des Betriebsvermögens der GmbH mit 54.266.627 EUR und den gemeinen Wert des vom Kläger daran mittelbar gehaltenen Anteils auf 5.141.063 EUR bezifferte. Unter Berücksichtigung von Anschaffungs- und Veräußerungskosten (Gutachten) sowie nach Anwendung des Teileinkünfteverfahrens ergab sich der erklärte Betrag.

Der Beklagte setzte die Einkommensteuer 2017 mit Bescheid vom 29. April 2019 auf 1.267.040 EUR fest, wobei er den fiktiven gewerblichen Veräußerungsgewinn erklärungsgemäß ansetzte. Der Kläger legte am 7. Mai 2019 Einspruch ein, mit dem er sich zunächst gegen die unterlassene Aufteilung seiner in Kanada aus nichtselbständiger Arbeit erzielten Einkünfte wendete, ehe er den Einspruch am 29. Mai 2019 auch gegen den Ansatz des fiktiven Veräußerungsgewinns im Wege der Wegzugsbesteuerung richtete.

Der Beklagte half dem Einspruch hinsichtlich der Aufteilung der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit mit Änderungsbescheid vom 31. Mai 2019 ab, mit dem er die Einkommensteuer auf 1.256.547 EUR herabsetzte. Den weitergehenden Einspruch wies er mit Einspruchsentscheidung vom 21. April 2020 als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen von § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG seien vorliegend unstreitig erfüllt. Die gesetzliche Neuregelung beruhe konzeptionell darauf, dass der Bundesrepublik Deutschland das Recht zustehe, den Wertzuwachs steuerverstrickter Anteile an Kapitalgesellschaften bei einem Wegzug des Anteilseigners ins Ausland zu besteuern. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sei dies grundsätzlich verfassungsgemäß und auch europarechtskonform. Eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs der Vorschrift komme nicht in Betracht. Insbesondere setze § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG nicht voraus, dass das deutsche Besteuerungsrecht durch den Wegzug tatsächlich ausgeschlossen oder beschränkt werde. Selbst wenn Deutschland im speziellen Fall der Immobilienkapitalgesellschaft das Besteuerungsrecht wegen Art. 13 Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) Kanada aus dem Jahr 2001 zukünftig nicht verliere, sei nicht erkennbar, dass der Ersatztatbestand aus § 6 AStG unanwendbar sei, zumal das Finanzamt bei einer Umschichtung des betrieblichen Vermögens davon keine Kenntnis erlange. Der Anwendungsbereich von § 17 EStG werde durch § 6 AStG auf Sachverhalte erstreckt, in denen es nach dem Willen des Gesetzgebers einer vorgelagerten Abrechnung stiller Reserven bedürfe, um das Besteuerungsrecht zu sichern. Dies sei im Hinblick auf Art. 63 Ver...

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