Entscheidungsstichwort (Thema)
Inanspruchnahme des zollrechtlichen Vertreters ohne Vertretungsmacht für die Einfuhrumsatzsteuer bei fehlgeschlagener innergemeinschaftlicher Lieferung im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG (Verfahrenscode 42). Anwendung der Vorschriften des ZK für die Nacherhebung von Einfuhrumsatzsteuer. Konkurrenz zwischen ZK und MwStSystRL. für Einfuhrumsatzsteuer maßgeblicher Begriff der „Einfuhr” sowie Ort der Einfuhr. zehnjährige Festsetzungsfrist für Einfuhrumsatzsteuer bei Erstellung unterfakturierter Scheinrechnungen. Voraussetzungen der Bestimmung des Zollwerts nach der Schlussmethode
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine zollrechtliche Vorschrift nur dann mit der Folge, dass Einfuhrumsatzsteuer entsteht, entsprechend angewendet werden, wenn eine Einfuhr im Sinne der Mehrwertsteuersystemrichtlinie vorliegt. Die entsprechende Anwendung der Vorschriften des Zollkodex für Gemeinschaften, die aufgrund des Verweises in § 21 Abs. 2 UStG als deutsches Recht gelten, darf nicht dazu führen, dass andere Handlungen als die hier einzig in Betracht kommende Einfuhr (Art. 2 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL) die Entstehung der Mehrwertsteuer auslösen.
2. Die Zollvorschriften können nur insoweit sinngemäß angewendet werden, wie dies nicht gegen die Mehrwertsteuersystemrichtlinie oder anderes Unionsrecht verstößt. Kommen mehrere Zollvorschriften in Betracht, die entsprechend auf die Einfuhrumsatzsteuer angewendet werden könnten, ist im Wege der richtlinienkonformen Auslegung diejenige auszuwählen, die der Systematik des Mehrwertsteuerrechts am besten entspricht. Nach diesen Grundsätzen ist Art. 220 Abs. 1 ZK auf die Nacherhebung der Einfuhrumsatzsteuer entsprechend anwendbar (Anschluss an FG Hamburg, Gerichtsbescheid v. 25.1.2021, 4 K 47/18).
3. Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie verbietet nicht die nachträgliche Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer gemäß Art. 220 Abs. 1 ZK. Art. 220 Abs. 1 ZK verdrängt als speziellere Korrekturvorschrift auch die Art. 8 f. ZK analog und §§ 131 f. AO.
4. Die Nacherhebung der Einfuhrumsatzsteuer folgt denselben Regeln wie die Nacherhebung von Zöllen, weil die Geltendmachung und Einräumung der Steuerbefreiung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG auch unter Berücksichtigung der Vorgaben der MwStSystRL und des eigenständigen Charakters der Einfuhrumsatzsteuer als Umsatzsteuer durch entsprechend anwendbare Vorschriften des Zollkodex der Gemeinschaften dargestellt werden kann. Das Verfahren VC 42 hat einen eigenen umsatzsteuerrechtlichen Erklärungsgehalt, der als Antrag gemäß Art. 6 ZK analog auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer verstanden werden muss, und der durch eine einfuhrumsatzsteuerrechtliche Entscheidung gemäß Art. 6 ZK und Art. 4 Nr. 5 ZK analog beschieden wird (Anschluss an FG Hamburg, Gerichtsbescheid v. 25.1.2021, 4 K 47/18).
5. Die Geltendmachung der Steuerbefreiung (siehe 4.) ist antragsgebunden. In der Festsetzung von Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 0 EUR im Einfuhrabgabenbescheid ist eine einfuhrumsatzsteuerrechtliche Entscheidung gemäß Art. 6 ZK und Art. 4 Nr. 5 ZK analog zu sehen. Die Form der Mitteilung richtet sich hierbei nach den internen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Nach den Grundsätzen des deutschen Rechts erfolgt die Festsetzung durch Verwaltungsakt gemäß § 118 AO in Gestalt eines Steuerbescheids nach § 155 Abs. 1 AO.
6. Eine Einfuhrumsatzsteuerschuld entsteht gemäß § 21 UStG in Verbindung mit Art. 220 Abs. 1 Buchst. a ZK durch die umsatzsteuerliche Einfuhr in Deutschland von Gegenständen, die sich nicht im freien Verkehr gemäß Art. 29 AEUV befinden. Eine Einfuhr im mehrwertsteuerrechtlichen Sinne liegt jedenfalls dann vor, wenn eine Ware zum zollrechtlich freien Verkehr überlassen worden ist und die Einfuhrabgaben gezahlt worden sind (Anschluss an FG Hamburg, Gerichtsbescheid v. 25.1.2021, 4 K 47/18).
7. Eine Nicht-Freiverkehrsware wird in dem Mitgliedstaat im mehrwertsteuerrechtlichen Sinne eingeführt, in dem sie zum zollrechtlich freien Verkehr überlassen wird und Einfuhrabgaben gezahlt werden. Die Regelung des Art. 143 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL bzw. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG gehen von einer Einfuhr im vorherigen Mitgliedstaat aus.
8. Nach der bisherigen Rechtsprechung deutscher Finanzgerichte liegt bei Fehlern der innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG, § 6a UStG) von Waren, die mit dem Verfahren VC 42 angemeldet wurden, immer eine umsatzsteuerliche Einfuhr im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG vor. Da es sich beim Verfahren VC 42 um die Überführung von Waren in den zollrechtlich freien Verkehr mit anschließender innergemeinschaftlicher Lieferung handelt, sind die Waren zum freien Verkehr abgefertigt worden und befinden sich nicht mehr in einer Nichterhebungs-Situation gemäß Art. 61 MwStSystRL. Es entsteht deutsche Einfuhrumsatzsteuer (Abgrenzung zu EuGH, Urteil v. 10.7.2019, C-26/18 (Federal Express).
9. Die Einfuhrumsatzsteuerschuld entsteht in sinngemäßer Anwendung von Art. 201 Abs. 2 ZK im Zeitpunkt de...