Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis aus sachlichen Billigkeitsgründen
Leitsatz (redaktionell)
Steuern, die bestandskräftig festgesetzt worden sind, können nur dann im Billigkeitsverfahren sachlich überprüft werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen der Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.
Normenkette
AO § 227 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger betreibt seit 1987 ein Unternehmen der ambulanten Krankenpflege, mit dem er seit 1988 auch für die gesetzlichen Krankenkassen tätig wird.
Nach Durchführung einer Außenprüfung gelangte der Beklagte zu der Auffassung, dass der Kläger in den Streitjahren, soweit seine Leistungen nicht in der sog. Behandlungspflege bestanden, der Umsatzsteuerpflicht unterliege. Davon ausgehend erließ der Beklagte am 7. Oktober 1997 erstmalige Umsatzsteuerbescheide 1990 und 1991, gegen die der Kläger Einspruch einlegte. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens setzte der Beklagte wegen Fehlern bei der Ermittlung der Umsatzhöhe die Umsatzsteuer auf X DM für 1990 und X DM für 1991 herab. Den weitergehenden Einspruch wies er mit Einspruchsentscheidung vom 9. Dezember 1998, die bestandskräftig wurde, zurück.
Am 15. August 2000 beantragte der Kläger im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 3. Februar 2000 V R 1/98 (Kügler, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFHE- 191, 76, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 2000, 250) den Erlass der festgesetzten Umsatzsteuer 1990 und 1991.
Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 31. August 2000 ab, gegen den der Kläger am 7. September 2000 Einspruch einlegte, ohne ihn weitergehend zu begründen. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 14. Dezember 2000 zurück. Zur Begründung führte er an, dass keine Gründe für einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen vorlägen. Dies würde voraussetzen, dass die Steuerbescheide auf einem offensichtlichen und eindeutigen Rechtsirrtum des Finanzamts beruhen würden und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zur Wehr zu setzen. Selbst wenn man sich der Auffassung des Klägers anschließen würde, nach der die Umsatzsteuerbescheide 1990 und 1991 rechtswidrig wären, würde es jedenfalls an einem offensichtlichen und eindeutigen Rechtsirrtum der Finanzbehörde fehlen. Es sei für den Kläger auch nicht unzumutbar gewesen, sich gegen die Steuerfestsetzung in einem Klageverfahren zur Wehr zu setzen. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf Bl. 11 - 13 der Streitakte -StrA- Bezug.
Daraufhin hat der Kläger am 8. Januar 2001 Klage erhoben.
Zur Begründung macht er geltend, es sei seinerzeit für ihn unzumutbar gewesen, gegen die Einspruchsentscheidung vom 9. Dezember 1998 Klage zu erheben. Denn bis zum Vorlagebeschluss in BFHE 191, 76, UR 2000, 250 habe eine ständige und gefestigte Rechtsprechung des BFH bestanden, dass allein Leistungen der Behandlungspflege umsatzsteuerfrei seien, zuletzt mit Urteil vom 25. März 1999 V R 29/97 (Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 1999, 1388). Materiell-rechtlich sei nunmehr geklärt, dass dem Kläger die Umsatzsteuerbefreiung zugestanden habe. Denn ausweislich einer Bescheinigung der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz vom 19. Oktober 2005 (Bl. XX StrA), handele es sich beim Kläger um eine anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter im Sinne des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern -6. Richtlinie-, sodass auch die nicht in Behandlungspflege bestehenden Leistungen des Klägers umsatzsteuerfrei seien. Dem Kläger stehe auf gemeinschaftsrechtlicher Grundlage ein Schadensersatzanspruch zu, der ihm einen Anspruch auf Korrektur der Umsatzsteuerbescheide 1990 und 1991 vom 7. Oktober 1997 verschaffe. Dieser Anspruch sei durch Gewährung des begehrten Erlasses zu erfüllen. Grundlage dieses Schadensersatzanspruchs sei ein qualifizierter Verstoß gegen die Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften -EuGH- aus Art. 177 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft -EWG-Vertrag- (später: Art. 234 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft -EG-Vertrag-). Denn der BFH habe es in Verkennung seiner Vorlagepflicht unterlassen, in den ihm in den neunziger Jahren vorliegenden Verfahren die Frage der Umsatzsteuerpflicht der Grundpflege dem EuGH vorzulegen. Deshalb sei es für den Kläger unzumutbar gewesen, sich gegen die Einspruchsentscheidung vom 9. Dezember 1998 zur Wehr zu setzen. Aufgrund dieser Folgewirkung sei es gerechtfertigt, entsprechend dem EuGH-Urteil...