Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch der mit den Kindern in Bulgarien wohnenden Ehefrau bei Wohnort des in Deutschland arbeitenden, vorübergehend erwerbslosen bulgarischen Ehemanns in Deutschland: Bindung der Familienkasse bezüglich des Anspruchs der Ehefrau auf bulgarische Familienleistungen an die mit elektronischen Vordrucken F002 und F027 erteilten Antworten des zuständigen ausländischen Trägers im Bereich von Familienleistungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Wohnort im Sinne von Art. 1 Buchst. j, Art. 67 VO (EG) Nr. 883/2004 und Art. 68 VO (EG) Nr. 883/2004 sowie Art. 11 DVO (EG) Nr. 987/2009 eines bulgarischen Staatsangehörigen liegt in Deutschland, wenn er seinen Entschluss, sich unbefristet in Deutschland aufzuhalten, dort zu arbeiten und Geld zum Unterhalt seiner Familie zu verdienen, bereits erfolgreich umgesetzt hat. Das gilt auch für einen Zeitraum, in dem er nach Beendigung einer Erwerbstätigkeit und vor Aufnahme einer neuen Erwerbstätigkeit in Deutschland vorübergehend nicht erwerbstätig ist und dabei kein Arbeitslosengeld I nach dem SGB III und keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Arbeitsuchende nach dem SGB II („Hartz IV”) erhält.

2. Lebt die ebenfalls bulgarische Ehefrau vorübergehend mit den gemeinsamen Kindern in Bulgarien und hat sie in der Zeit der Erwerbslosigkeit des Ehemanns in Deutschland keinen Anspruch auf bulgarische Familienleistungen, ist sie nach Art. 67 Satz 1 VO (EG) Nr. 883/2004 in Verbindung mit Art. 60 Abs. 1 Satz 2 DVO (EG) Nr. 987/2009 in Deutschland kindergeldanspruchsberechtigt.

3. Hinsichtlich des Anspruchs der Ehefrau auf bulgarische Familienleistungen kommt den Antworten, die mit den für das Koordinierungsverfahren vorgesehenen elektronischen Vordrucken F002 und F027 von der zuständigen Behörde im Bereich Familienleistungen in Bulgarien (Social Assistance Agency) aufgrund von mit den für das Koordinierungsverfahren vorgesehenen elektronischen Vordrucken F001 und F026 gestellten Anfragen der Familienkasse erteilt worden sind, eine Bindungswirkung für die Familienkasse und auch für das Finanzgericht zu.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3; EGV 883/2004 Art. 1 Buchst. j, z, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Buchst. j, Art. 67 S. 1, Art. 68 Abs. 2 Sätze 2-3, Art. 3 Buchst. e; DVO (EG) Nr. 987/2009 Art. 11 Abs. 1, Art. 60 Abs. 1 S. 2

 

Tenor

Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Familienkasse Niedersachsen-Bremen vom 9. November 2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung der Beklagten vom 11. September 2020 und des dazu ergangenen Berichtigungsbescheids vom 30. November 2020 wird hinsichtlich des Monats Juli 2016 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen einen Bescheid in der Gestalt einer im Laufe des vorliegenden Klageverfahrens berichtigten Einspruchsentscheidung, mit der die Festsetzung von Kindergeld für das Kind D., geboren am … 2009, und das Kind E., geboren am … 2011, für den Zeitraum von Januar 2016 bis April 2016, den Monat Juli 2016 und den Zeitraum von Dezember 2016 bis Oktober 2017 aufgehoben und für die genannten Monate die Erstattung des gezahlten Kindergeldes in Höhe von insgesamt 6.120,00 EUR gefordert wurde.

Nach Abtrennung der Klage wegen Kindergeld für den Monat Juli 2016 von der Klage wegen Kindergeld für die anderen Monate ist Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens nur das Kindergeld für den Monat Juli 2016.

Die Klägerin und ihr Ehemann M. sind bulgarische Staatsangehörige. Sie sind die Eltern der Kinder D. und E. sowie des am … 2016 geborenen Kindes R.

Ausweislich der Anmeldebestätigung des Bürger- und Ordnungsamtes K. vom 13. April 2015 zog die Klägerin an diesem Tag mit ihren Kindern D. und E. in die Wohnung … in K. ein.

Ebenfalls am 13. April 2015 unterschrieben die Klägerin und ihr Ehemann M. einen Antrag auf Kindergeld für ihre Kinder D. und E., der in der darauffolgenden Woche bei der Familienkasse Nord einging und dort am 22. April 2015 zu den Kindergeldakten gelangte. Als Anschrift der Klägerin war in dem Kindergeldantrag die Adresse … in K. angegeben und als Anschrift von M. die Adresse … in R. Die Klägerin unterschrieb den Kindergeldantrag als Antragstellerin und M. als mit ihr gemeinsam in einem Haushalt lebender Ehepartner. Er erklärte sich mit seiner Unterschrift damit einverstanden, dass der Klägerin als Antragstellerin das Kindergeld gezahlt wird.

Mit Bescheid vom 27. April 2015 setzte die Familienkasse Nord gegenüber der Klägerin Kindergeld für die Kinder D...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge