rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Haftung der Organgesellschaft für steuerliche Nebenleistungen des Organträgers. An einen Dritten gerichteter geänderter Abrechnungsbescheid ist keine nachträglich eingetretene Tatsache i. S. d. § 131 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO
Leitsatz (redaktionell)
1. Die in § 73 AO angeordnete Haftung der Organgesellschaft für Steuerschulden des Organträgers erstreckt sich nicht auf steuerliche Nebenleistungen.
2. Eine Änderung eines Abrechnungsbescheids in entsprechender Anwendung von § 131 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO setzt voraus, dass der Beklagte berechtigt gewesen wäre, denjenigen Verwaltungsakt, der geändert werden soll, nicht zu erlassen, hätte die später eingetretene Tatsache bereits vorgelegen. Die nachträglich eingetretene Tatsache muss mithin entscheidungserheblich sein.
3. Die bloße abweichende Würdigung der Organschaft im Hinblick auf die Haftung der Organgesellschaft für Zinsen zur Umsatzsteuer bildet keine nachträglich eingetretene Tatsache.
4. Der an den Insolvenzverwalter über das Vermögen der Organgesellschaft gerichtete und der an den Organträger gerichtete Abrechnungsbescheid sind rechtlich unabhängig voneinander, so dass aus der Änderung des einen keine Berechtigung zur Änderung des anderen erwachsen kann.
Normenkette
AO §§ 73, 218 Abs. 1-2, § 239 Abs. 1, § 131 Abs. 2 S. 1 Nr. 3; UStG § 2 Abs. 2
Tenor
Der Abrechnungsbescheid über Zinsen zur Umsatzsteuer für 2004 und 2005 vom 24. September 2010 und der geänderte Abrechnungsbescheid laut Einspruchsentscheidung vom 08. April 2011 werden aufgehoben.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, soweit nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids.
Der Beklagte änderte mit Bescheiden vom 30. Januar 2009 gegenüber dem Kläger die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2004 und 2005. Hierbei berücksichtigte er erstmals eine seiner Auffassung nach zwischen dem Kläger – als Organträger – und der E – … Zeitarbeit – GmbH (E GmbH) – als Organgesellschaft – bestehende Organschaft. Der Beklagte setzte die Umsatzsteuer 2004 auf 163.819,80 EUR herauf, was zu einer Nachzahlung i.H.v. 163.855,70 EUR führte. Die Umsatzsteuer 2005 erhöhte er auf 222.216,60 EUR (Nachzahlung 154.831,05 EUR). Dementsprechend setzte der Beklagte dem Kläger gegenüber zeitgleich Zinsen zur Umsatzsteuer für 2004 und 2005 fest. Die geänderten Umsatzsteuerbescheide sind Gegenstand der unter dem Aktenzeichen 3 K 777/10 anhängigen Klage, über die der Senat bislang nicht entschieden hat.
Bereits am 11. Mai 2006 war das Insolvenzverfahren über das Vermögen der E GmbH eröffnet worden.
Der Beklagte setzte die Rechtsfolgen der von ihm angenommenen Organschaft zwischen dem Kläger und der E GmbH gegenüber der E GmbH nicht durch eine Änderung bzw. Aufhebung der gegenüber der E GmbH ergangenen Umsatzsteuerbescheide um, sondern übersandte dem Insolvenzverwalter über deren Vermögen unter dem Datum vom 23. März 2009 Steuerberechnungen zur Umsatzsteuer für 2004 und Zinsen zu dieser sowie 2005 und Zinsen zu dieser.
Ebenfalls unter dem 23. März 2009 rechnete der Beklagte mit einem Haftungsanspruch für 2004 i.H.v. 191.709,70 EUR (Umsatzsteuer 2004 163.855,70 EUR, Zinsen hierzu 27.854,00 EUR) dem Insolvenzverwalter über das Vermögen der E GmbH gegenüber gegen dessen auf Erstattung von Umsatzsteuer für 2004 und Zinsen zu dieser gerichtete Forderung, die er mit 192.529,70 EUR bezifferte, auf. Zugleich rechnete er auch mit einem Haftungsanspruch für 2005 i.H.v. 171.859,05 EUR (Umsatzsteuer 2005 154.831,05 EUR, Zinsen hierzu 17.028,00 EUR) gegen dessen auf Erstattung von Umsatzsteuer für 2005 und Zinsen zu dieser gerichtete Forderung, die er mit 172.633,05 EUR bezifferte, auf. Er führte jeweils aus, aufgerechnet werde mit einer Forderung des Landes Sachsen-Anhalt, vertreten durch den Beklagten, gegen eine Forderung des Insolvenzverwalters gegen das Land Sachsen-Anhalt, ebenfalls vertreten durch den Beklagten. Der Kläger, der neben seiner Ehefrau B. Gesellschafter der P GmbH sei, die ihrerseits Alleingesellschafterin der E GmbH sei, schulde dem Beklagten Umsatzsteuer für 2004 i.H.v. 163.855,70 EUR nebst Zinsen zu jener i.H.v. 27.854,– EUR, in der Summe 191.709,70 EUR sowie für 2005 i.H.v. 154.831,05 EUR nebst Zinsen zu jener i.H.v. 17.028,– EUR. Die Inanspruchnahme der E GmbH erfolge nach § 191 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 73 AO. Nach § 73 AO hafte eine Organgesellschaft für Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen jenen steuerlich von Bedeutung sei. Zwischen dem Kläger und der E GmbH habe vom 12. Mai 2004 bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen eine umsatzsteuerliche Organschaft bestanden. Die Haftung für die Steuern des Klägers bestehe nach Beendigung der Organschaft und...