Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Aussetzung der Vollziehung trotz Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein besonderes berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Aussetzung der Vollziehung der steuerlichen Erfassung von Spekulationseinkünften aus Wertpapiergeschäften wegen der insoweit bestehenden ernstlichen verfassungsrechtlichen Zweifel (Vorlagebeschluss des BFH vom 16.07.2002 IX R 62/99, BFH/NV 2002, 1649) setzt zunächst voraus, dass durch die vorläufige Vollziehung der Steuerfestsetzung wesentliche Nachteile drohen.
2. Bei der Interessenabwägung kann zudem nicht außer Betracht bleiben, dass das mit dem Vorlagebeschluss beanstandete strukturelle Vollzugsdefizit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu einer rückwirkenden Nichtigkeitserklärung der Besteuerungsnorm durch das BVerfG führen wird.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1; EStG § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b
Streitjahr(e)
1997
Nachgehend
Tatbestand
I.
Der Antragsteller, ein Steuerberater, wird für das Streitjahr 1997 einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung gab er keine Einkünfte aus Spekulationsgeschäften an. Dementsprechend setzte der Antragsgegner -das Finanzamt- im Einkommensteuerbescheid für 1997 vom 1.03.1999 und in mehreren Änderungsbescheiden hierzu keine Einkünfte aus Spekulationsgeschäften an; die Bescheide standen jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung stellten die Prüfer u. a. fest, dass der Antragsteller aus dem Verkauf von Wertpapieren, die in einem Depot bei der A verwahrt worden waren, im Streitjahr einen Spekulationsgewinn von 22.143 DM erzielt hatte. Gegen die steuerliche Berücksichtigung der Spekulationseinkünfte erhob der Antragsteller zunächst keine Einwendungen (Schriftsatz vom 25.10.2001).
Das Finanzamt erließ am 31. Januar 2002 einen Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 1997 und setzte darin bei den sonstigen Einkünften einen Spekulationsgewinn von 22.143 DM an. Die Einkommensteuer 1997 wurde auf 4.340,36 EUR festgesetzt; der Betrag war in vollem Umfang nachzuzahlen.
Hiergegen erhob der Antragsteller Einspruch. Die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1997 wurde antragsgemäß zunächst zum Zwecke der nochmaligen Überprüfung streitiger Sachverhalte, insbesondere zur Nachholung einer Schlussbesprechung, befristet bis zum 30. April 2002 ausgesetzt. Ab dem 1. Mai 2002 setzte das Finanzamt nur den nach Durchführung der Besprechung aus seiner Sicht zu erwartenden Steuerminderungsbetrag von 509,75 EUR (997 DM) Einkommensteuer nebst Nebenabgaben weiterhin von der Vollziehung aus und forderte den Restbetrag (insgesamt einschließlich Nebenabgaben: 4.996,52 EUR) an.
Einen weiteren Aussetzungsantrag des Antragstellers vom 25. April 2002, in dem dieser u. a. die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen geltend machte, lehnte das Finanzamt umgehend ab.
Der Antragsteller begehrt nunmehr die Aussetzung der Vollziehung des verbleibenden Nachzahlungsbetrags durch das Gericht. Er verweist darauf, dass der IX. Senat des Bundesfinanzhofs - BFH - die Besteuerung von Einkünften aus Spekulationsgeschäften im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b EStG für verfassungswidrig hält (Verfahren IX R 62/99, Beschluss vom 19. März 2002, BStBl II 2002, 296 und Vorlagebeschluss vom 16. Juli 2002). Damit bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Spekulationsgewinn-Besteuerung nicht für nichtig, sondern nur für unvereinbar mit dem Grundgesetz erkläre, folge hieraus gemäß § 31 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht - BVerfGG - für Parallelprozesse die Pflicht zur Aussetzung.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für 1997 vom 31. Januar 2002 ab 1. Mai 2002 in Höhe von insgesamt 4.996,52 EUR (Einkommensteuer nebst ev. Kirchensteuer, Solidaritätszuschlag und Zinsen) auszusetzen.
Das Finanzamt beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es vertritt die Auffassung, die gesetzliche Regelung des § 23 EStG beanspruche Gültigkeit, solange nicht das Bundesverfassungsgericht ihre Verfassungswidrigkeit festgestellt habe. Jedenfalls überwögen die verfassungsrechtlichen Bedenken das öffentliche Interesse an einer geordneten staatlichen Haushaltsführung nicht. Außerdem sei nicht zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht, wenn es die Spekulationsbesteuerung tatsächlich für verfassungswidrig halte, die Gesetzesnorm rückwirkend für nichtig erklären werde, sondern dass wie in anderen Verfahren dem Gesetzgeber lediglich für die Zukunft Neuregelungen oder Nachbesserungen auferlegt würden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vom Gericht beigezogene Steuerakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag ist unbeg...