Entscheidungsstichwort (Thema)
Anschaffungsfiktion des § 23 Abs. 1 Satz 2 EStG gilt nicht für Entnahmen vor dem 01.01.1999
Leitsatz (redaktionell)
Die Fiktion des § 23 Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002, aufgrund derer als Anschaffung auch die Überführung eines Wirtschaftsguts in das Privatvermögen des Steuerpflichtigen durch Entnahme oder Betriebsaufgabe gilt, findet auf Entnahmen vor dem 01.01.1999 keine Anwendung. Dies folgt sowohl aus der gesetzlichen Übergangsregelung als auch aus dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot.
Normenkette
EStG §§ 22, 23 Abs. 1, § 52
Streitjahr(e)
2003
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob ein 2003 erzielter privater Veräußerungsgewinn gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerlich zu erfassen ist.
Die Klägerin ist eine am 20. Mai 2003 mit Veräußerung des Einzigen fremdvermieteten Grundstücks aufgelöste Grundstücksgemeinschaft in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Dieses Grundstück war am 31. Dezember 1998 dem gewerblichen Betriebsvermögen der GbR als ehemaliger Besitzgesellschaft einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter Aufdeckung der stillen Reserven entnommen und in das Privatvermögen der seitdem Vermietungseinkünfte erzielenden GbR überführt worden. Mit Notarvertrag vom 20. Mai 2003 wurde das Grundstück verkauft, wobei ein Veräußerungsgewinn erzielt wurde. Nachdem der Beklagte hiervon Kenntnis erlangt hatte, änderte er den Feststellungsbescheid für 2003 und rechnete den Veräußerungsgewinn den Gesellschaftern der GbR anteilig zu (Änderungsbescheid vom 28. April 2005). Den Einspruch der GbR wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 7. Oktober 2005 als unbegründet zurück.
Mit der Klage tragen die Kläger vor:
Der Veräußerungsvorgang sei nicht im Sinne des § 23 EStG steuerbar. Die Entnahme als Anschaffungsfiktion nach § 23 Abs. 1 Satz 2 EStG gelte nach § 52 EStG nicht für Entnahmevorgänge vor dem 1. Januar 1999. Die Kläger berufen sich auf das Senatsurteil vom 19. Dezember 2001 (9 K 7760/00 E, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2002, 464) i. V. m. dem Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. Mai 2004 (IX R 8/02, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 2004, 1290).
Die Kläger beantragen,
den Bescheid für 2003 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 28. April 2005 insoweit aufzuheben, als darin Einkünfte gemäß § 23 EStG enthalten sind.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf die Einspruchsentscheidung, der einer Weisung des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen zu Grunde läge.
Wegen der Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der geänderte Feststellungsbescheid vom 28. April 2005 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ); er war daher wie erkannt aufzuheben.
Die Kläger haben aus der Veräußerung des Grundstücks keinen Gewinn aus privatem Veräußerungsgeschäft gemäß § 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erzielt. Unter die Vorschrift des § 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG (in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 - StEntlG) fallen u. a. Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 EStG (StEntlG) gilt als Anschaffung auch die Überführung eines Wirtschaftsguts in das Privatvermögen des Steuerpflichtigen durch Entnahme oder Betriebsaufgabe. Diese Fassung des Gesetzes ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden (§ 52 Abs. 1 S. 1 EStG).
Bei § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 EStG handelt es sich um einen so genannten gestreckten Steuertatbestand, dessen Verwirklichung mit der Anschaffung des Wirtschaftsguts beginnt und mit dessen Veräußerung endet (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02, Bundesteuerblatt - BStBl - II 2004, 284). Die Anschaffung stellt den Beginn der Tatbestandsverwirklichung des § 23 EStG dar. Fehlt es an einer Anschaffung oder Anschaffungsfiktion, so wird eine Veräußerung nicht von § 23 Abs. 1 S. 1 EStG erfasst (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2003, a.a.O.).
Im Streitfall ist die Entnahme unstreitig zum 31. Dezember 1998 erfolgt. In der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung des Gesetzes galt die Entnahme eines Wirtschaftsguts aus dem Betriebsvermögen nicht als Anschaffungsvorgang (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2003, a.a.O.). Die Neuregelung des § 23 Abs. 1 S. 2 EStG in der Fassung des StEntlG ist auf den Streitfall nicht anzuwenden.
Nach dem Wortlaut des Gesetzes findet die Anschaffungsfiktion nicht auf Entnahmen vor dem 1. Januar 1999 Anwendung. Dies ergibt sich aus § 52 Abs. 1 S. 1 E...