Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld nach Entführung des Kindes durch nicht sorgeberechtigten Elternteil; Beweislast der Kindergeldstelle bei Rückforderung
Leitsatz (amtlich)
1. Will die Behörde die Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs.2 EStG aufheben, trägt sie die objektive Beweislast dafür, dass und zu welchem Zeitpunkt Änderungen in den kindergeldanspruchsbegründenden Verhältnissen eingetreten sind.
2. Hat die Mutter widerrechtlich das Kind an einen unbekannten Ort entführt, verliert der sorgeberechtigte Vater nicht automatisch ab dem Zeitpunkt, an dem das Kind bei der Polizei als vermisst gemeldet wird, seinen Kindergeldanspruch.
Normenkette
EStG § 64 Abs. 2 S. 1, Abs. 1, § 63 Abs. 1, § 70 Abs. 2
Tenor
Der Bescheid vom 2.3.1998 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
I.
Dem geschiedenen Kläger stand zunächst aufgrund einer schriftlichen Einverständniserklärung der Kindsmutter das alleinige Sorgerecht über seine am 27.10.1993 geborene Tochter T zu, die bis November 1996 in seinem Haushalt lebte. Er bezog für die Tochter bis zu diesem Zeitpunkt auch das Kindergeld.
Am 1.12.1996 wurde die Tochter von der Kindsmutter„entführt”; sie befindet sich seit diesem Zeitpunkt nicht mehr im Haushalt des Klägers. Die Kindsmutter hält sich seitdem mit dem Kind verborgen. Nach der Vermutung des Klägers halten sich beide entweder in Ausland (EG) oder im Großraum A-Stadt (in Deutschland) auf. Nach dem Beschluß des Amtsgerichts Dortmund vom 14.3.1997 183 F 2343/96 steht dem Kläger (weiterhin) die alleinige elterliche Sorge über das Kind zu. Gleichzeitig ist die Kindsmutter zur Herausgabe des Kindes verurteilt worden, wobei das Kind gegebenenfalls mit Gewalt (Polizei/Gerichtsvollzieher) herausgeholt werden kann. Gegen die Kindsmutter läuft zudem ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Kindesentziehung.
Mit Bescheid vom 2.3.1998 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger rückwirkend zum 1.1.1997 mit der Begründung auf, daß sich seine Tochter nicht mehr in seinem Haushalt befinde, ihr Aufenthalt nicht bekannt und sie deshalb als vermißt zu behandeln sei; zugleich forderte sie das im Jahre 1997 gezahlte Kindergeld zurück.
Hiergegen richtet sich die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage.
Der Kläger beantragt, den Aufhebungsbescheid vom 2.3.1998 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt Klageabweisung.
Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags bezieht sie sich auf eine Stellungnahme des Bundesamts für Finanzen, die sie sich zu eigen macht:
Seit der Entführung der Tochter gehöre diese nicht mehr zum Haushalt des Klägers. Es habe dort kein „Zuhause” mehr und werde vom Kläger nicht mehr versorgt und betreut. Damit seien die Anspruchsvoraussetzungen des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG weggefallen. Die Zuordnung des Kindes erfolge hiernach ausschließlich nach den tatsächlichen Umständen, unter denen das Kind lebe. Der Gesetzgeber gehe typisierend davon aus, daß der Elternteil, in dessen Haushalt das Kind wohne, die überwiegenden Unterhaltslasten zu tragen habe. Der Kläger sei hiermit Jedoch nicht mehr belastet.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ein Schreiben seines Bruders, des Rechtsanwalts RA vom 6.9.1999 übergeben. Hiernach soll die Mutter seiner geschiedenen Ehefrau Dritten gegenüber geäußert haben, daß sich ihre Tochter mit dem Kind in A-Stadt (in Deutschland) aufhalte und innerhalb der Stadt umzuziehen beabsichtige.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung durch Bescheid vom 2.3.1998 verletzt den Kläger in seinen Rechten.
1. Die Beklagte durfte die Kindergeldfestsetzung nicht allein mit der Begründung aufheben, daß das Kind seit Ende 1996 nicht mehr im Haushalt des Klägers lebt.
Nach § 64 Abs. 1 EStG wird zwar für Jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt und nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ist bei mehreren Berechtigten kindergeldberechtigt nur derjenige, der das Kind in seinem Haushalt aufgenommen hat. § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG setzt jedoch, wie sich unmittelbar aus seinem Wortlaut ergibt, mehrere Berechtigte voraus (vgl. hierzu im einzelnen BFH-Beschluß vom 19.5.1999 VI B 22/99, auf den die Beklagte in ihrer Stellungnahme nicht eingegangen ist). Der Kindergeldanspruch hängt bei leiblichen Kindern, anders als etwa bei Pflegekindern, gerade nicht von der Haushaltszugehörigkeit ab.
Ebensowenig ist von Belang, ob der Kläger tatsächlich mit Unterhaltsaufwendungen für sein Kind belastet ist. Wie der BFH im Beschluß VI B 22/99 klargestellt hat, ist das Kindergeld für unter 18 Jahre alte Kinder unabhängig davon zu zahlen ist, ob die Leistungsfähigkeit der Eltern durch Aufwendungen für das Kind gemindert ist (§ 63 Abs. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 EStG). Eltern erhalten für ihre unter 18 Jahre alten Kinder vielmehr auch dann Kindergeld, wenn sie nicht belastet sind, z.B. weil das Kind hohe eigene Einkünfte hat.
2. Es läßt sich derzeit nicht feststellen, ob die Kinds...