Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung wegen neuer Tatsachen zugunsten des Steuerpflichtigen: Höhe des geldwerten Vorteils einer Dienstwohnung – Neuermittlung der wertbildenden und -begründenden Merkmale durch Sachverständigen – Grobes Verschulden bei zwischen OFD und Arbeitgeber abgestimmter laufender Überprüfung
Leitsatz (redaktionell)
- Führt die zwischen der OFD und dem Arbeitgeber abgestimmte sachverständige Neuermittlung der wertbildenden und -begründenden Merkmale von Dienstwohnungen für einen der betroffenen Arbeitnehmer nach Bestandskraft der betroffenen Steuerbescheide zu einer Minderung des hierfür anzusetzenden geldwerten Vorteils, kann ihm die Änderung dieser Steuerbescheide zu seinen Gunsten nicht wegen groben Verschuldens an dem nachträglichen Bekanntwerden der wertrelevanten Umstände versagt werden.
- Ein solches Verschulden ist auch nicht daraus herzuleiten, dass der Arbeitnehmer bzw. sein Steuerberater nicht im Hinblick auf das laufende Überprüfungsverfahren Einspruch gegen die Einkommensteuerbescheide eingelegt haben.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2
Streitjahr(e)
2009, 2010
Tatbestand
Die Klägerin wurde durch Bescheide vom 18.5.2010 und 27.6.2011 (2009) und vom 5.10.2011 (2010) zur Einkommensteuer für die Streitjahre 2009 und 2010 veranlagt. Streitig ist, ob die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) erfüllt sind, um die Einkommensteuerfestsetzungen in dem beantragten Umfang zu berichtigen.
Die Klägerin ist Pfarrerin. Sie bewohnte unentgeltlich eine Pfarrerdienstwohnung ihrer Arbeitgeberin, der evangelischen Kirche. Der hierfür den Arbeitslohn erhöhend angesetzte geldwerte Vorteil erwies sich nach Überprüfung, in die auch die Oberfinanzdirektion (OFD) eingeschaltet war (Abstimmungsgespräche von 2009 bis 2012 hinsichtlich insgesamt ca. 1.400 Dienstwohnungen), als zu hoch bewertet. Hierzu hatte die OFD am 14.1.2011 informiert sowie Kurzmitteilungen am 8.8.2011 und am 17.1.2012 herausgegeben, in denen die Vorgehensweise bei der Ermittlung der geldwerten Vorteile vorgegeben wurde. Danach sollte in jedem Einzelfall eine Begutachtung durch die amtlichen Bausachverständigen durchgeführt werden und sollten die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Berichtigung bereits erlassener Bescheide im Einzelfall zu prüfen sein.
Die Wohnung der Klägerin wurde am 23.11.2012 von einer durch die OFD beauftragten Bausachverständigen begutachtet. Es wurde berücksichtigt, dass es sich um eine „Großwohnung” mit einer engen wertmindernden Verbindung von Amts- und Wohnbereich handele, deren Lage durch die Nähe zum sonstigen Kirchenbetrieb beeinträchtigt sei. Am 4.1.2013 „trat auch das Betriebsstätten-Finanzamt den Feststellungen bei” und erteilte der evangelischen Kirche unter Übermittlung der betreffenden Unterlagen eine Anrufungsauskunft.
Aus Änderungsanzeigen der evangelischen Kirche vom 7.12.2012 ging hervor, dass der Arbeitslohn der Klägerin bei der Einkommensteuerermittlung für 2009 um 3.207,28 Euro und für 2010 um 784,89 Euro zu hoch angesetzt worden war. Das beklagte (Wohnsitz-) Finanzamt der Klägerin wurde durch das für die Arbeitgeberin zuständige Finanzamt mit Schreiben vom 11.1.2013 informiert.
Die Klägerin hatte bereits am 10.11.2009 im Hinblick auf die Höhe des geldwerten Vorteils aus der Überlassung der Dienstwohnung für die Veranlagungszeiträume 2003 bis 2006 Änderungsanträge gestellt, die später beschieden wurden. Am 29.12.2011 stellte sie den Antrag, die Steuerfestsetzungen 2007 bis 2010 zu ändern. Dieser Antrag wurde in Bezug auf die Streitjahre am 8.3.2012 abgelehnt. Das Finanzamt meinte, die Wertermittlung sei ursprünglich durch die evangelische Kirche erfolgt und basiere auf einer Schätzung (Anrufungsauskunft vom 16.9.2003). Hierbei seien seinerzeit bereits diverse Abschläge berücksichtigt worden. Nun solle ausgehend von dem danach angesetzten Mietwert eine weitere Reduzierung durch weitere Abschläge erfolgen. Dies bedeute eine Änderung der ursprünglichen Schätzung, ohne dass neue Tatsachen bekannt geworden seien. Die gleichzeitig gestellten Anträge auf Erlass bzw. auf Festsetzung gem. § 163 AO wurden ebenfalls abgelehnt.
Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 16.5.2014). Im Einspruchsverfahren führte die Klägerin aus, die entscheidende Tatsache sei, um welchen Betrag der Bruttoarbeitslohn zu mindern sei. Hierzu wurde auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13.1.2011 VI R 61/09 (Bundessteuerblatt -BStBl- Teil II 2011, Seite 479 und auf eine Verfügung der OFD Hannover vom 6.12.2010 hingewiesen. Auch dem Abstimmungsverfahren mit der OFD komme eigenständige Bedeutung als neue Tatsache zu (Finanzgericht -FG- Köln Urteil vom 12.12.1995 8 K 5794/94, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 1997, 144; BFH-Urteil vom 25.7.2001 VI R 82/96, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2001, 1533). Die erstellten Bewertungsgutachten seien überdies neue Beweismittel i.S.v. § 173 AO.
Der Beklagte vertrat die Auf...