Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderungsbefugnis bei erkennbarer Nichtberücksichtigung eines Sachverhalts

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Werden nach Aufdeckung einer umsatzsteuerlichen Organschaft aufgrund fehlerhafter Auswertung des Prüfungsberichts in den bestandskräftigen Änderungsbescheiden die Umsätze und Vorsteuerbeträge der Organgesellschaft nicht bei dem Organträger erfasst und die gegenüber der Organgesellschaft ergangenen Umsatzsteuerbescheide nachfolgend auf deren Rechtsbehelf hin aufgehoben, ist das FA aufgrund der erkennbaren Nichtberücksichtigung des von der Betriebsprüfung festgestellten (unstreitigen) Sachverhalts nach § 174 Abs. 3 AO befugt, die Umsatzsteuerfestsetzungen des Organträgers zu ändern.
  2. Der Anwendungsbereich des § 174 Abs.3 AO erstreckt sich sowohl auf sachliche als auch auf rechtliche Fehlbeurteilungen.
  3. Die Änderung ist zulässig bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist derjenigen Steuer, bei der der Sachverhalt nach der ursprünglichen Annahme des FA hätte berücksichtigt werden sollen.
 

Normenkette

AO § 169 Abs. 2 Nr. 2, § 171 Abs. 3a, 4, § 174 Abs. 3; UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2

 

Streitjahr(e)

1998, 1999, 2000

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 24.11.2011; Aktenzeichen V R 45/10)

BFH (Urteil vom 24.11.2011; Aktenzeichen V R 45/10)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das beklagte Finanzamt – FA – geänderte Umsatzsteuerbescheide für 1998 bis 2000 nach den Änderungsvorschriften der Abgabenordnung – AO – erlassen durfte.

In den Jahren 2003 und 2004 wurden sowohl bei der Klägerin als auch bei der GmbH Betriebsprüfungen durchgeführt, welche sich u.a. auf die Umsatzsteuern 1998 bis 2000 bezogen.

Mit Prüfungsberichten betreffend die Klägerin und die GmbH vom 5.4.2004 stellte der Prüfer des Finanzamts fest, dass zwischen der Klägerin und der GmbH seit dem 1.1.1998 eine umsatzsteuerpflichtige Organschaft bestanden habe (Tz. 2.2 des Bp.-Berichts). Die sich hieraus ergebenden umsatzsteuerlichen Auswirkungen betreffend die Klägerin und die GmbH für die einzelnen Veranlagungszeiträume ermittelte der Prüfer in den Anlagen 1a bis 1e zum Prüfungsbericht betreffend die Klägerin. Auf den Inhalt dieser Anlagen, die aufgrund einer schriftlichen Beanstandung durch den seinerzeitigen Bevollmächtigten der Klägerin nochmals geändert wurden, wird Bezug genommen. In den Anlage werden jeweils die Umsätze, aufgeteilt nach Steuersätzen, und die Vorsteuerbeträge betreffend die Klägerin einerseits und die GmbH andererseits zunächst getrennt ermittelt und anschließend in einer Summe zusammengefasst.

Bei der Klägerin, die während der Betriebsprüfung rückwirkend zum 1.1.1998 den Übergang von der Besteuerung nach Durchschnittssätzen gemäß § 24 UmsatzsteuergesetzUStG – zur Regelbesteuerung beantragt hatte, wurden die sich hieraus ergebenden Änderungen durch Erlass geänderter Umsatzsteuerbescheide 1998 bis 2000 umgesetzt. Nicht steuerlich berücksichtigt wurden in den Änderungsbescheiden die Innenumsätze mit der GmbH sowie – unter Außerachtlassung der umsatzsteuerlichen Organschaft – die Umsätze und Vorsteuerbeträge der GmbH. Die Umsatzsteueränderungsbescheiden vom 29.7.2004, in denen jeweils der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde, wurden bestandskräftig.

Bezüglich der beim selben Finanzamt geführten GmbH wurden rechtliche Folgerungen aus der zwischen der Klägerin und der GmbH angenommenen Organschaft – die zwischen den Beteiligten unstreitig ist – bei Auswertung der Prüfungsberichte nur insoweit gezogen, als die zunächst bei der GmbH als abzugsfähig anerkannten Vorsteuern aus den Innenumsätzen zwischen ihr und der Klägerin bei Erlass gegen die GmbH gerichteter Umsatzsteueränderungsbescheide 1998 bis 2000 vom 18.5.2005 nicht mehr berücksichtigt wurden. Ansonsten wurden die ursprünglich von der GmbH erklärten Umsätze und Vorsteuerbeträge ungeachtet der umsatzsteuerlichen Organschaft in den gegen sie ergangenen Änderungsbescheiden weiterhin berücksichtigt.

Die GmbH legte gegen die Änderungsbescheide am 8.6.2005 Einspruch ein mit der Begründung, sie sei aufgrund der festgestellten Organschaft gemäß § 2 Abs.2 Nr.2 UStG nicht als eigenständiges Unternehmen, sondern als Organgesellschaft der Klägerin zu behandeln.

Während des Einspruchsverfahrens bezüglich dieser gegen die GmbH ergangenen Umsatzsteuerfestsetzungen 1998 bis 2000 erließ das FA am 12.6.2006 (für 2000) und am 22.6.2006 (für 1998 und 1999) auf § 174 Abs.3 AO gestützte geänderte Umsatzsteuerbescheide betreffend die Klägerin, in denen sie die bisher bei der GmbH erfassten Umsätze und Vorsteuerbeträge nunmehr wegen der umsatzsteuerlichen Organschaft bei der Klägerin erfasste. Hierauf hatte das FA im Januar 2006 den Bevollmächtigten der Klägerin und der GmbH schriftlich hingewiesen.

Am 14.6.2006 (bzgl. 2000) und am 7.7.2006 (bzgl. 1998 und 1999) hob das FA die gegen die GmbH ergangenen Umsatzsteuerbescheide ersatzlos auf und half damit deren Einspruchsbegehren vollumfänglich ab.

Gegen die auf § 174 Abs.3 AO gestützten Änderungsbescheide hat die Klägerin Einspruch ein...

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