Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung des Progressionsvorbehalts bei verspätetem Zufluss von Arbeitslosengeld
Leitsatz (redaktionell)
Auch bei der Berechnung des Progressionsvorbehaltes ist der Zufluss der Leistung dafür entscheidend, welchem Veranlagungszeitraum eine Leistung zuzuordnen ist.
Normenkette
EStG §§ 11, 32b, 34 Abs. 2, § 38a
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Arbeitslosengeld, das der Klägerin für frühere Veranlagungszeiträume nachgezahlt wurde, im Jahr des Zuflusses in den Progressionsvorbehalt miteinzubeziehen ist.
Die ledige Klägerin war von Ende 1994 bis 1996 arbeitslos gemeldet. Nachdem sie für die Veranlagungszeiträume 1995 bis 1997 Einkommensteuererklärungen zunächst nicht abgegeben hatte, wurden die Besteuerungsgrundlagen für diese Veranlagungszeiträume geschätzt und die Klägerin mit Bescheiden vom 20.12.1990 zur Einkommensteuer 1995 bis 1997 veranlagt. Nachdem die Klägerin gegen diese Einkommensteuerbescheide am 11.1.2000 Einsprüche eingelegt hatte, gab sie am 21.1.2000 eine Einkommensteuererklärung auch für das Streitjahr ab. Darin erklärte sie neben Einkünften aus Gewerbebetrieb (Maklerin) und aus selbständiger Arbeit auch Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit. Ihr war im April und Mai 1996 das Arbeitslosengeld für
1994 |
in Höhe von |
2.635,80 DM |
1995 |
in Höhe von |
10.814,86 DM |
1996 |
in Höhe von |
2.438,10 DM |
ausbezahlt worden.
Der Beklagte berücksichtigte in dem geänderten Einkommensteuerbescheid 1996 vom 8.2.2000 nach Abzug des Arbeitnehmerfreibetrages in Höhe von 2.000 DM einen Betrag von 13.888,76 DM unter dem Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG. Die Klägerin teilte dem Beklagten daraufhin mit, dass sie ihren Einspruch aufrecht erhalte, da das gesamte in 1996 bezogene Arbeitslosengeld bei der Ermittlung des Progressionsvorbehaltes berücksichtigt worden sei. Das verstoße gegen die Grundsätze der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Denn die 13.450,66 DM, die sie für die Jahre 1994 und 1995 erhalten habe, hätten ihre Leistungsfähigkeit im Streitjahr nicht erhöht, da diese Summe einen Ausgleich für die in den Vorjahren benötigten Mittel darstellten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Hinweis auf BVerfG-Beschluss vom 3.Mai 1995 1 BvR 1176/88, BStBl II 1995, 758) solle der Empfänger steuerfreier Leistungen gegenüber einem Bezieher entsprechend hoher steuerpflichtiger Leistungen nicht besser, er solle durch den Progressionsvorbehalt aber auch nicht schlechter gestellt werden. Deshalb seien im Streitjahr nur die für dieses Jahr bezogenen 2.438,10 DM ./. Arbeitnehmerfreibetrag (2.000DM), also 438,10 DM dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen. Wende man § 11 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 38a Abs. 1 S. 2 EStG auch für die Zuordnung von Bezügen, die dem Progressionsvorbehalt unterfallen, an, gelange man zu demselben Ergebnis. Laufender Arbeitslohn gelte nämlich auch als in dem Kalenderjahr bezogen, in dem der Lohnzahlungszeitraum ende. Hilfsweise beantragte die Klägerin Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 Abs. 1 AO.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 12.4.2000 zurück. Zur Begründung führte er aus, dass sich nach allgemeinen Einkunftsermittlungsgrundsätzen bestimme, wann steuerfreie Lohnersatzleistungen erzielt worden seien. Das sei auch bei Leistungen, die für frühere Veranlagungszeiträume gezahlt würden, mit Zufluss der Fall. Das Arbeitslosengeld unterliege deshalb in voller Höhe dem Progressionsvorbehalt des § 32b EStG. Auch § 11 Abs. 1 S. 3 EStG helfe der Klägerin nicht, denn Nachzahlungen für frühere Lohnzahlungszeiträume seien lohnsteuerrechtlich gerade nicht laufender Arbeitslohn. Hinsichtlich des Antrages auf Festsetzung einer niedrigeren Steuer aus Billigkeitsgründen verwies der Beklagte auf ein gesondertes Verfahren vor der Veranlagungsstelle.
Mit ihrer am 12.5.2000 erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, die Einführung des Progressionsvorbehaltes sei verfassungsrechtlich nur solange nicht zu beanstanden, wie die Grundsätze der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beachtet würden. Dies geschehe nicht, wenn auch die für die Vorjahre gezahlten Leistungen in den Progressionsvorbehalt einbezogen würden. Zwar habe der BFH in seiner Entscheidung vom 12.10.1995 (BStBl II 1996, 201) insoweit auch auf das Zuflussprinzip des § 11 Abs. 1 EStG abgestellt, doch sei ihm seinerzeit der Beschluss des BVerfG noch nicht bekannt gewesen. Belaste man - wie im Streitfall - Arbeitslosenbezüge in Höhe von 2.438,10 DM mit Einkommensteuer von 1.552 DM zzgl. Solidaritätszuschlag (85,36 DM), also zusammen mit 1.637,36 DM, betrage der Steuersatz 67,2% und überschreite damit den vom BVerfG aufgestellten Halbteilungsgrundsatz. Die sich aus dem Progressionsvorbehalt ergebende zusätzliche Steuerlast könne nur mit der zusätzlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Relation gesetzt werden. Dann betrage die Steuerquote sogar 74,8 % und nach Abzug des Arbeitnehmerfreibetrages sogar 416,44 %. Die Leistungsfähigkeit richte sich nicht ...