Entscheidungsstichwort (Thema)
Einfuhrumsatzsteuer: Zur Anwendung des Art. 215 Abs. 4 Zollkodex i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG auf die Einfuhrumsatzsteuer - Umsetzung des EuGH-Urteils vom 18. Januar 2024, C-791/22
Leitsatz (amtlich)
1. Werden aus einem Drittland stammende Schmuggelzigaretten über einen anderen Mitgliedstaat (hier: Polen) vorschriftswidrig in die EU verbracht und dort zum Gegenstand einer mehrwertsteuerrechtlichen Lieferung oder Leistung (hier: Verkauf auf einem öffentlichen Markt), so stellt dies einen Eingang in den Wirtschaftskreislauf der EU dar und die Einfuhrmehrwertsteuer entsteht nur in diesem anderen Mitgliedstaat.
2. Ein späterer Transport der im anderen Mitgliedstaat käuflich erworbenen Schmuggelzigaretten in einen weiteren Mitgliedstaat (hier: Deutschland) und ihr dortiger Weiterverkauf an weitere Abnehmer führt nicht zu einer (erneuten) Entstehung der Einfuhrmehrwertsteuer in diesem weiteren Mitgliedstaat.
3. Die gesetzliche Fiktion des Art. 215 Abs. 4 Zollkodex zum Entstehungsort der Zollschuld findet auf die Einfuhrmehrwertsteuer keine Anwendung (Umsetzung des EuGH-Urteils vom 18.01.2024, C-791/22.
Normenkette
Zollkodex Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a, Art. 215 Abs. 4; UStG § 13 Abs. 2, § 21 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) für geschmuggelte Zigaretten.
Grundlage des angefochtenen Steuerbescheides waren Ermittlungen des Zollfahndungsdienstes u.a. gegen den Kläger wegen Zigarettenschmuggels in mehreren Fällen.
Nach den Erkenntnissen des Zollfahndungsdienstes und seiner eigenen Einlassung erwarb der in Polen ansässige Kläger auf einem Markt in ... (Polen) am 29. September 2012 insgesamt 43.760 Zigaretten verschiedener Marken, die auf diesem Markt zum Verkauf an jedermann angeboten wurden und jeweils mit ukrainischen oder weißrussischen Steuerbanderolen versehen waren. Er transportierte diese Zigaretten, ohne Zollstellen zu informieren, nach Deutschland, wo er sie am 2. Oktober 2012 in der Nähe von A (Deutschland) an seinen deutschen Käufer übergab. Bei dieser Übergabe wurde der Kläger festgenommen und die Zigaretten sichergestellt und später vernichtet.
Mit Urteil des Amtsgerichts A vom ... 2017 (Az. xxx) wurde der Kläger rechtskräftig wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei - u.a. auch wegen des hier streitgegenständlichen Sachverhalts - verurteilt.
Nach der Sicherstellung der Zigaretten am 2. Oktober 2012 wurde der Kläger mit dem angegriffenen Steuerbescheid (StRL XXX/2012 -XXX; Registrierkennzeichen YYY) für EUSt in Höhe von ... EUR in Anspruch genommen. Die Zigaretten seien vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht worden, daher sei die Zollschuld entstanden und der Kläger wegen seines Wissens um das vorschriftswidrige Verbringen auch Zollschuldner. Nach § 21 Abs. 2 UStG und in sinngemäßer Anwendung der Zollvorschriften sei auch die EUSt-Schuld entstanden und der Kläger Schuldner der EUSt geworden.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat der Kläger am 15. Januar 2018 Klage erhoben.
Mit Beschluss vom 6. Dezember 2022 hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Auslegung von Handlungen der Organe der Union im Wege der Vorabentscheidung vorgelegt:
Verstößt es gegen die Richtlinie 2006/112/EG, insbesondere deren Art. 30 und 60, wenn eine mitgliedstaatliche Vorschrift den Art. 215 Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 für sinngemäß auf die Einfuhrmehrwertsteuer anwendbar erklärt?
Der Gerichtshof hat die gestellte Frage mit Urteil vom 18. Januar 2024 in der Rechtssache C-791/22 (G.A. gegen HZA Braunschweig) wie folgt beantwortet:
Art. 30 Abs. 1, Art. 60 und Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der Art. 215 Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 geänderten Fassung auf die Einfuhrmehrwertsteuer für die Bestimmung ihres Entstehungsorts entsprechende Anwendung findet.
Nach Wiederaufnahme des Verfahrens hat sich der Kläger zu dem Urteil des Gerichtshofs in der Weise geäußert, dass vorliegend feststehe, dass die streitbefangenen Zigaretten in Polen auf dem Markt zum Verkauf angeboten worden und daher zum Verbrauch in Polen bestimmt gewesen seien, so dass die Einfuhrmehrwertsteuer in Polen entstanden sei und auch dort hätte festgesetzt werden müssen. Da in Deutschland keine EUSt entstanden sei, hätte diese auch nicht festgesetzt werden dürfen, so dass der streitgegenständliche Steuerbescheid rechtswidrig sei.
Der Kläger beantragt,
den Steuerbescheid des Beklagten vom 3. Februar 2015 (StRL XXX/2012 - XXX; Registrierkennzeichen YYY) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 2017 (RBL xxx/15 - xxx) aufzuheben.
Der ...