Leitsatz (redaktionell)
Verletzung der Chancengleichheit in der schriftlichen Steuerberaterprüfung.
Normenkette
DVStB § 18 Abs. 1 S. 3, § 20 Abs. 4
Tatbestand
Die Klägerin ist durch die Steuerberaterprüfung 1998 durchgefallen (1.Versuch). Mit Bescheid vom 14.12.1998 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die gefertigten Aufsichtsarbeiten wie folgt bewertet worden sind.
Verfahrensrecht und andere Steuerrechtsgebiete |
Note |
5,0 |
Steuern vom Einkommen und Ertrag |
Note |
4,5 |
Buchführung und Bilanzwesen |
Note |
4,5 |
|
Gesamtnote |
4,66 |
Damit übersteige die Gesamtnote die Zahl 4,5, die gemäß § 25 Abs. 2 DVStB obere Grenze für die Zulassung zur mündlichen Prüfung sei.
Prüfer 1 bewertete die Leistung der Klägerin in der Buchführungsklausur mit 43 Punkten, Prüfer 2 mit 45 Punkten – bei 100 nach der Musterlösung möglichen Punkten. Die Klausur besteht aus 2 unabhängig voneinander lösbaren Teilaufgaben / Sachverhalten. Dem Fall 1 waren nach der Musterlösung 30 Punkte, dem Fall 2 70 Punkte zugeordnet. Die Klägerin, die zunächst Fall 1 bearbeitet hat, erhielt für die Bearbeitung von Fall (1) 19 Punkte von beiden Korrektoren und für die Bearbeitung von Fall (2) 24 Punkte von Prüfer 1 und 26 Punkte von Prüfer 2.
Das Notenschema, das die Prüfer bundeseinheitlich verwenden, sieht für 20 bis 29 Punkte die Note 5,5, für 30 bis 39 Punkte die Note 5,0, für 40 bis 49 Punkte die Note 4,5 und für 50 bis 58 Punkte die Note 4,0 vor.
Der Aufgabentext der Aufgabe 1 der Buchführungsklausur enthielt einen Druckfehler:
Für ein Grundstück, für das in der Bilanz auf den 31.12.96 eine § 6b-EStG – Rücklage gebildet war, nannte der Text der Aufgabe als Veräußerungszeitpunkt den Januar 1992, während die Klausurverfasser als Veräußerungszeitpunkt den Januar 1996 hatten angeben wollen. Nachdem sich Kandidaten an den aufsichtsführenden Beamten gewandt hatten, denen es widersprüchlich erschien, dass einerseits die Bilanzansätze der Klausur-Bilanz als zutreffend zugrundezulegen seien, andererseits aber eine § 6b-EStG-Rücklage im Veräußerungsjahr anzusetzen sei, kam es zwischen 11.00 und 12.00 Uhr zu einer Korrektur des Druckfehlers; Klausurbeginn war 9 Uhr gewesen. Der aufsichtsführende Beamte teilte den Prüflingen mit, dass für die Lösung als Veräußerungsmonat der Januar 1996 zugrundezulegen sei. Die Bearbeitungszeit werde wegen des Druckfehlers um 30 Minuten verlängert.
Die Beklagte hat die Korrektoren der Klausur auf den Druckfehler aufmerksam gemacht. Sie gab den Korrektoren vor, Lösungsansätze für jeden der beiden Zeitpunkte mit Punkten zu bedenken. In dem von der Beklagten am 12.10.1998 an die Korrektoren gerichteten Schreiben „Hinweis zur Aufgabenstellung Fall 1”) heißt es u.a. „Im Klausurtext ist auf Seite 2 unter den Passiva eine Rücklage gemäß § 6b EStG in Höhe von 120000 DM ausgewiesen. In der Anmerkung dazu *) ist als Veräußerungszeitpunkt für dieses Grundstück der 1. Januar 1992 genannt. Dieser Zeitpunkt ist unzutreffend. Richtigerweise soll der Veräußerungszeitpunkt der 1. Januar 1996 sein…. Ich bitte, dies bei der Korrektur zu berücksichtigen und Lösungsansätze für jeden der beiden Zeitpunkte wohlwollend mit Punkten zu bedenken …”.
Gegen den Bescheid der Beklagten vom 14.12.98 hat die Klägerin am Montag den 18. Januar 1999 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor:
Die Widersprüchlichkeit des Sachverhalts habe ihr bei der Lösung große Schwierigkeiten bereitet. Sie habe wertvolle Zeit mit der Darstellung der verschiedenen Lösungsansätze vergeudet. Als den Prüflingen gegen 11.45 Uhr mitgeteilt worden, dass sich im Text der Buchführungsklausur ein Druckfehler befinde, seien von der zur Verfügung stehenden Bearbeitungszeit bereits 2,5 Stunden also fast 50% verstrichen gewesen; sie habe zu diesem Zeitpunkt Fall 1 immer noch nicht mit einer befriedigenden Lösung abgeschlossen gehabt. Sie habe sich daraufhin entschlossen, mit der Bearbeitung von Sachverhalt 2 zu beginnen, um gegen Ende der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit noch einmal auf Fall 1 zurückzukommen. Letzteres habe sie aber nicht mehr geschafft. Sie habe nicht einmal mehr den letzten Sachverhalt von Teil 2 bearbeiten können – für den nach den Lösungshinweisen 12 Punkte vorgesehen gewesen seien.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid über das Nichtbestehen der Prüfung vom 14.12.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie die Aufsichtsarbeit Buchführung und Bilanzwesen mit einer neuen Aufgabenstellung entweder gesondert oder im Rahmen einer ordentlichen Steuerberaterprüfung wiederholen zu lassen,
hilfsweise,
die erfolglose Teilnahme an der Steuerberaterprüfung 1998 nicht als Fehlversuch zu werten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor:
Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG und den daraus abgeleiteten Grundsatz der Chancengleichheit sei schon deswegen nicht gegeben, weil alle Prüflinge in Hamburg und im Bundesgebiet in gleicher Weise bei der Klausurlösung beeinträchtigt gewesen seien. Der Nachteil, den die Klägerin dadurch habe hinnehmen müssen, dass sie d...