rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht: Rückwirkung einer Prozessvollmacht (einschließlich Empfangsvollmacht
Leitsatz (amtlich)
1. Bei Entscheidung über den Hauptantrag auf Feststellung der unwirksamen Bekanntgabe und über dieselbe Frage im Rahmen des auf Aufhebung des Bescheids gerichteten Hilfsantrags in insgesamt einem Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 FGO kann dahinstehen, ob allein über den Hauptantrag auch durch isoliertes Teilurteil gemäß § 98 FGO entschieden werden könnte.
2. Eine nachträglich erteilte Prozessvollmacht kann auf die Klageerhebung und die Einspruchseinlegung zurückwirken.
3. Aufgrund dieser Rückwirkung gilt der Prozessbevollmächtigte ab dem Zeitpunkt der Einspruchseinlegung als empfangsbevollmächtigt, so dass der ihm zuvor übersandte Bescheid im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung als bekannt gegeben gilt.
Normenkette
AO § 80 Abs. 1, 3, § 122 Abs. 1 S. 3, Abs. 2, 5; BGB §§ 133, 177 Abs. 2, § 180 Sätze 2-3, § 184; FGO §§ 44, 62 Abs. 3 S. 3, §§ 98, 99 Abs. 2; VwZG § 8 Abs. 1, 4, § 9 Abs. 1; ZPO §§ 80, 89
Nachgehend
Tatbestand
I. Im Rahmen des Streits über die Besteuerung des Grunderwerbs der Klägerin bei Auflösung der Familienstiftung geht es in der Zwischenentscheidung um den Umfang und die Rückwirkung der Vollmacht (und Empfangsvollmacht) der Prozessbevollmächtigten sowie um die davon abhängige Feststellungs-Verjährung.
Bei Auflösung der Familienstiftung wurden gemäß notariellen Urkunden vom 28. und 29. November 1995 zahlreiche Grundstücke übertragen, u.a. auf Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR) einschließlich einer GbR unter Beteiligung der Klägerin. Über die notarielle Anzeige und Anzeigepflicht besteht kein Streit.
II. Wegen der grunderwerbsteuerlichen Beurteilung der umfangreichen Vorgänge wurde zwischen dem Rechtsanwalt ... (S.), der Namensträger der Stiftung ist, und dem Beklagten (Finanzamt -FA-) korrespondiert. Nach früheren Bescheiden und Einsprüchen kam das FA mit Schreiben vom 27. November 1998 zu einer geänderten Auffassung und bat zugleich Rechtsanwalt S. um Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten für die beabsichtigten neuen Bescheide (vgl. FG-A Bl. 16, 31).
Das anwaltliche Antwortschreiben vom 3. März 1999 geht nicht auf die Vertretungsfrage ein und erwähnt keine Einschränkungen oder Unterschiede bezüglich der Gesellschafter-Mandanten, sondern befasst sich unmittelbar mit den Fragen des Grunderwerbs (FG-A Bl. 33).
Das FA erließ am 17. November 1999 die neuen Bescheide, darunter den vom jetzigen Feststellungsantrag betroffenen und hilfsweise angefochtenen Grunderwerbsteuer-Feststellungsbescheid gegenüber der Klägerin; diesen gab es zu Händen des vorbezeichneten Rechtsanwalts bekannt (FG-A Bl. 10, Grunderwerbsteuer-Akte -GrESt-A- Bl. 6).
Rechtsanwalt S. legte mit Schreiben vom 13. am 16. Dezember 1999 Einspruch ein (GrESt-A Bl. 13). Der Rechtsbehelf wurde mit Einspruchsentscheidung vom 15. Januar 2002 mit sachlich-rechtlicher Begründung zurückgewiesen. Die Einspruchsentscheidung wurde mit einfacher Post Rechtsanwalt S. bekannt gegeben, der inzwischen in die Sozietät der jetzigen Prozessbevollmächtigten gewechselt hatte (FG-A Bl. 10, GrESt-A Bl. 24).
III. Die Klage ist am 18. Februar 2002 eingegangen. Während des Klageverfahrens haben die jetzigen Prozessbevollmächtigten binnen einer vom Berichterstatter gesetzten Frist eine am 26. November 2002 von der Klägerin unterzeichnete "Prozessvollmacht" eingereicht. Der Wortlaut der Vollmacht ergibt sich aus dem standardisierten Formular eines Anwaltsverlags (FG-A Bl. 28, 30).
IV. Nachdem die Prozessbevollmächtigten zunächst geltend gemacht haben (FG-A Bl. 3), von der Klägerin nicht bevollmächtigt gewesen zu sein, wird nunmehr namens der Klägerin vorgetragen (FG-A Bl. 28, 41, 45, 68=72, 93):
Zwar sei die Einspruchseinlegung und Klageerhebung jetzt vorsorglich genehmigt worden. Jedoch sei der angefochtene Bescheid mangels anwaltlicher Empfangsvollmacht nicht wirksam bekannt gegeben worden, bevor Ende 1999 Feststellungsverjährung eingetreten sei. Auf die Aufforderung des FA vom 27. November 1998 zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten dürfte geantwortet worden sein, dass für die Klägerin und ihre Schwester keine Empfangsvollmacht bestehe. Durch die weitere prozessuale Geltendmachung des Bekanntgabemangels werde zum Ausdruck gebracht, dass sich die jetzige Vollmacht nicht auf die Entgegennahme des Bescheids rückbeziehe. Die Vollmacht dürfe nicht gegen den Willen der Vollmachtgeberin ausgelegt werden.
Bei der Auslegung sei der Verfahrensablauf einschließlich des gerichtlichen Erörterungstermins vom 5. November 2002 zu berücksichtigen, als der Berichterstatter sich um eine Aufklärung der Vollmachtsfragen bemüht habe. Dieser habe erklärt, dass er dem jetzigen Prozessbevollmächtigten nicht glaube, dass er nicht bevollmächtigt sei. Ein während des Termins mit der auswärtigen Klägerin geführtes Telefonat habe er...