Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückgängigmachung eines Investitionsabzugsbetrags für eine nachträglich steuerbefreite Photovoltaikanlage
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist eine Hinzurechnung gemäß § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG ausgeschlossen, weil keine Gewinnermittlung mehr zu erstellen ist (hier: aufgrund der durch das Jahressteuergesetz 2022 rückwirkend zum 1.1.2022 nach § 3 Nr. 72 Satz 1 Buchst. a) EStG steuerfreien Einkünfte aus dem Betrieb einer Photovoltaikanlage), ist der Investitionsabzugsbetrag im Jahr des Abzugs gemäß § 7g Abs. 3 Satz 2 EStG rückgängig zu machen.
2. Eine verfassungswidrige Rückwirkung und eine Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ist bereits aufgrund der begünstigenden Rechtsfolgenwirkung des § 3 Nr. 72 EStG ausgeschlossen.
3. Ein besonderes berechtigtes Interesse an der Gewährung der Aussetzung der Vollziehung liegt nicht vor, wenn nicht erkennbar ist, dass die Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrags für den Steuerpflichtigen zu einer derart schwerwiegenden Belastung führt, dass ihm irreparable Nachteile drohen.
Normenkette
EStG § 3 Nr. 72, § 3c Abs. 1, § 7g Abs. 3
Nachgehend
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Rückgängigmachung eines Investitionsabzugsbetrags für eine Photovoltaikanlage.
Der Antragsteller erzielte im Streitjahr 2021 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und wird einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. In der Einkommensteuererklärung für 2021 erklärte er erstmals auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb, da er beabsichtigte, eine Photovoltaikanlage anzuschaffen und den produzierten, nicht selbst verbrauchten Strom in das allgemeine Stromnetz gegen Entgelt einzuspeisen. Im November 2022 schaffte der Antragsteller eine fremdfinanzierte Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 11,2 kWp zu einem Preis von … € an.
Im Rahmen eines Einspruchsverfahrens gegen den ersten Einkommensteuerbescheid 2021 vom 20.04.2022 beantragte er bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb für die Anschaffung der Photovoltaikanlage, einen Investitionsabzugsbetrag gemäß § 7g Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung – EStG – in Höhe von… € (50 % von … €) zu bilden. Hierdurch berechnete er einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe des Investitionsabzugsbetrags, da er im Streitjahr noch keinerlei Einnahmen erzielte.
Der Antragsgegner berücksichtigte den Investitionsabzugsbetrag zunächst antragsgemäß und setzte die Einkommensteuer mit einem nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung – AO – geänderten Einkommensteuerbescheid vom 27.05.2022 auf … € ohne einen Vorbehalt der Nachprüfung oder eine Vorläufigkeit der Einkünfte aus Gewerbebetrieb fest.
Mit Bescheid vom 21.11.2023 änderte der Antragsgegner die Einkommensteuerfestsetzung für 2021 nach § 7g Abs. 3 Satz 2 EStG. Zur Begründung führte er aus, dass Investitionsabzugsbeträge, die in vor dem 01.01.2022 endenden Wirtschaftsjahren in Anspruch genommen und bis einschließlich zum 31.12.2021 noch nicht gewinnwirksam hinzugerechnet worden seien, laut BMF-Schreiben vom 17.07.2023, IV C 6 – S 2121/23/10001:001 Rn. 19 rückgängig zu machen seien, wenn in eine nach § 3 Nr. 72 EStG begünstigte Photovoltaikanlage investiert werde und der einzige Betriebszweck in deren Betrieb bestehe. Die Einkommensteuer setzte der Antragsgegner auf … € fest. Zinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung wurden nicht festgesetzt, da diese nicht mindestens 10 € betrugen.
Gegen den Änderungsbescheid legte der Antragsteller am 29.11.2023 Einspruch ein, über den bislang nicht entschieden wurde und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung beim Antragsgegner. Die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 72 EStG sei durch das Jahressteuergesetz 2022 vom 16.12.2022 rückwirkend zum 01.01.2022 eingeführt worden. Es handele sich insoweit um eine unzulässige Rückwirkung, da in bereits realisierte Steuertatbestände (Investitionsentscheidungen und Anschaffungen der Photovoltaikanlage) eingegriffen werde. Der Gesetzgeber missachte die notwendige Planungs- und Investitionssicherheit von Gewerbetreibenden, zu denen auch Photovoltaikanlagenbetreiber zählen würden. Diese belastende Rechtsänderung sei unzulässig, da eine besondere Rechtfertigung fehle und diese auch zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet und erforderlich sei. Der Antragsteller verweist auf weitere anhängige Verfahren vor den Finanzgerichten (s. Einspruchsschreiben vom 29.11.2023).
Der Antragsgegner führte im Einspruchsverfahren mit Schreiben vom 06.12.2023 ergänzend aus, dass § 7g Abs. 3 EStG allein darauf abstelle, dass die Hinzurechnung tatsächlich unterblieben sei. Insoweit verweist der Antragsgegner auf das BFH-Urteil vom 03.12.2019 (Az. X R 11/19, BStBl II 2020, 276). Es sei zudem langjährige Verwaltungsauffassung, dass eine Rückgängigmachung (auch vor Ablauf der Investitionsfrist) erfolge, wenn aufgrund (zukünftiger) steuerlicher Verhältnisse eine Hinzurechnung nicht mehr erfolgen könne....