Entscheidungsstichwort (Thema)
Haushaltszugehörigkeit eines im Heim untergebrachten Kindes; Überleitungsbefugnis des Trägers der Jugendhilfe
Leitsatz (redaktionell)
1) Wird ein Kind im Erziehungsheim untergebracht, gehört es dennoch zum Haushalt des Elternteils, in dessen Haushalt es zuletzt gelebt hat, wenn die Aussicht besteht, dass das Kind das Heim in einem überschaubaren Zeitraum verlassen und in die elterliche Wohnung zurückkehren wird.
2) Erbringt der Träger der Jugendhilfe Hilfe zur Erziehung in einem Heim und hat ein kostenerstattungspflichtiger Elternteil Anspruch auf Kindergeld, wird das Jugendamt mit den Kosten der Hilfeleistung nicht endgültig belastet, sondern nur nachrangig gegenüber der Familienkasse. Deshalb hat der Träger der Jugendhilfe ein Recht auf Überleitung des bestehenden Kindergeldanspruchs.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 5; SGB X § 104 Abs. 1, 1 Sätze 1, 4; KJHG § 91 Abs. 1, § 93 Abs. 5, § 94 Abs. 2-3; EStG § 64
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob im Zeitraum August 1998 bis November 1998 die Voraussetzungen einer Überleitung des Kindergeldanspruchs für das 1983 geborene Kind V. an die Klägerin vorgelegen haben, oder ob der leibliche Vater vorrangig kindergeldberechtigt war.
Die Familie S. wurde dem Jugendamt erstmals 1984 bekannt, als sich die Eheleute S. trennten. Herr S. hatte sich damals der Freundin seiner Frau, Frau L., zugewandt. Diese zog in die eheliche Wohnung ein. Frau S. zog zusammen mit den Kindern V. und A. zu Herrn L. und heiratete diesen später. Frau S. -L wurde das Sorgerecht für beide Kinder übertragen. Erste massive Schwierigkeiten mit der von Geburt an überaus lebhaften Tochter V. traten in der Grundschuldzeit auf. Im April 1993 fiel V. – damals noch im strafunmündigen Alter – erstmals beim Ladendiebstahl auf. Auch als V 1993 aufs Gymnasium kam, war ihr Verhalten extrem auffällig und sie wurde als nicht beschulbar befunden. Die Zeit von Januar bis November 1994 verbrachte V. in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Lüdenscheid. Anschließend wurde sie mit der Diagnose „schwere Beziehungsstörungen mit Störung des Sozialverhaltens und Hyperaktivität” entlassen. Anfang November 1995 lief V. zum ersten Mal von Zuhause weg. In der Folgezeit kam es durch das aggressive Verhalten von V. häufig zu Auseinandersetzungen zwischen ihr und ihrem blinden Stiefvater, die schließlich in körperliche Attacken beiderseits mündeten. Gegenüber der Polizei erklärte V., von ihrer Mutter und ihrem Stiefvater misshandelt worden zu sein und nicht mehr nach Hause zurückkehren zu wollen. Nach kurzer Unterbringung bei einer Bereitschafts-Pflegefamilie kehrte sie noch im gleichen Monat freiwillig zu ihrer Mutter zurück. Während der folgenden Gespräche mit der Mutter von V., dem Stiefvater, V. leiblichem Vater und der Bearbeiterin der Kinder- und Jugendhilfe ergab sich als Hilfe nur noch die Unterbringung V. in einer geeigneten Heimeinrichtung. Ab dem 12. Dezember 1995 wurde V. in einer heilpädagogischen Einrichtung untergebracht, der besondere Therapieangebote zur Verfügung stehen und die auch mit den Eltern regelmäßig psychologische Beratungsgespräche führt. Konzeption dieser Einrichtung ist es, nach einer Verweildauer von zwei bis drei Jahren eine Rückführung in die Familie zu ermöglichen.
Das Kindergeld für V. war bis Dezember 1995 an ihrem Stiefvater gezahlt worden. Am 15. Februar 1996 beantragte das Jugendamt die Auszahlung des Kindergeldes an sich, weil es Sozialleistungen erbracht habe, die gegenüber dem Kindergeld nachrangig zu gewähren waren (§ 104 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -SGB X-). Mit Bescheid vom 18. März 1998 wurde das Kindergeld für V. ab Januar 1996 Herrn S. in der gesetzlichen Höhe zugesprochen, im Hinblick auf den Antrag des Jugendamts des Oberbergischen Kreises allerdings zunächst an dieses ausgezahlt. Da die Klägerin seit Januar 1998 über ein eigenes Jugendamt verfügte und damit zuständiger örtlicher Träger der Jugendhilfe war, wurde das Kindergeld ab Januar 1998 unmittelbar an die Klägerin ausgezahlt.
Mit Bescheid vom 2. Juli 1998 hob der Beklagte seine Entscheidung über die Abzweigung des Kindergelds für V. zu Gunsten des Jugendamts ab August 1998 gemäß § 70 Abs. 3 EStG auf. Zur Begründung führte er aus, die Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergelds an das Jugendamt gemäß § 74 Abs. 1 EStG lägen nicht vor, weil Herr S. seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber V. in vollem Umfang nachkomme. Das Kindergeld für die Monate ab August 1998 wurde daraufhin an Herrn S. ausgezahlt.
Der Einspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, der Anspruch auf Auszahlung des Kindergelds beruhe nicht auf § 74 Abs. 1 EStG, sondern auf § 74 Abs. 5 EStG i.V.m. dem Überleitungsanspruch gemäß §§ 93 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Achtes Buch Kinder- und Jugendhilfe (KJHG) vom 26. Juni 1990 (BGBl. I S. 1163) in der Neufassung vom 8. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3546) i.V.m. 104 Abs. 1 SGB X, blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte der Beklagte in der Einspruchsentscheidung vom 10. September 1998 au...