Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld bei Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen

 

Leitsatz (redaktionell)

Kindergeld ist nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG v. 6.7.2004 - 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/07, 1 BvL 6/97, BVerfGE 111, 160 = BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) auch solchen ausländischen Eltern zu gewähren, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens einem Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten. § 62 Abs. 2 EStG ist entgegen BFH v. 15.3.2007 - III R 93/03 einschränkend auszulegen.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin ist marokkanische Staatsangehörige und lebt seit 1991 in der BRD. Sie ist Mutter von zwei in den Jahren 1993 und 1994 in der BRD geborenen Kindern. Seit August 2003 lebt sie vom Vater ihres zweiten Kindes getrennt. Der Vater ihres ersten Kindes ist ägyptischer Staatsangehöriger. Die Klägerin ist weder in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis noch einer Aufenthaltsberechtigung. Auch eine Anerkennung als Flüchtling/Asylberechtigter erfolgte nicht. Ihr wurde vielmehr lediglich von der Stadt Aachen im Januar 2004 eine Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen erteilt (§§ 30, 32 AuslG a. F.; Kindergeld-Akte, Bl 3, 5). Im März 2005 wurde ihr – wiederum aus humanitären Gründen – eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG erteilt, mit der Nebenbestimmung, dass die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt sei (Kindergeld-Akte, Bl 15).

Mit inzwischen bestandskräftigem Bescheid vom 10. November 2004 hatte die Beklagte bereits einen Kindergeldantrag aus September 2004 unter Hinweis auf § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG abgelehnt. Ein weiterer Kindergeldantrag vom 19. Mai 2005 wurde mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 16. Juni 2005 mit gleicher Begründung abgelehnt. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte die Beklagte in der Einspruchsentscheidung vom 3. August 2005 aus: Die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG lägen nicht vor, da die Klägerin lediglich in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis i.S. § 23 Abs. 1 AufenthG sei.

In der mündlichen Verhandlung erklärte die Klägerin, in der Zeit ab Dezember 2004 nicht gearbeitet zu haben; die minderjährigen Kinder lebten nach wie vor in ihrem Haushalt.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 16. Juni 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 3. August 2005 zu verpflichten, dass Kindergeld für die 1993 und 1994 geborenen Kinder für Dezember 2004 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf die Begründung in der Einspruchsentscheidung. Da nicht festgestellt werden könne, dass die Klägerin einer Erwerbstätigkeit nachgehe, seien auch die Voraussetzungen der rückwirkend anzuwendenden Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG für die Gewährung von Kindergeld nicht gegeben. Angesichts des klaren Gesetzeswortlauts ergebe sich etwas anderes auch nicht daraus, dass die Ausweisung der Klägerin auf unbestimmte Zeit nicht möglich sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Die Kindergeldberechtigung der Klägerin für die Monate bis einschließlich Dezember 2004 ergibt sich aus § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG 1996, der vor dem Hintergrund des BVerfG-Beschlusses vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) entgegen seinem Wortlaut einschränkend dahin auszulegen ist, dass der Ausschluss von Ausländern von der Kindergeldberechtigung nicht für solche ausländischen Eltern gilt, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens 1 Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten.

1. Entgegen den Ausführungen des BFH in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03 (auf der Homepage des BFH erschienen am 9. Mai 2007) lehnt der erkennende Senat die Anwendung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG vom 13. Dezember 2006 auf den Streitfall ab, weil er deren Erstreckung auf Altfälle durch die Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG für verfassungsrechtlich unzulässig hält.

a) Gemäß § 62 Abs. 2 EStG, der durch Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (AuslAnsprG – BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62) an die Systematik der Aufenthaltstitel nach dem Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 30. Juli 2004 (AufenthG – BGBl I 2004, 1950) angepasst worden ist, hängt die Kindergeldberechtigung von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern, denen lediglich eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG wegen eines Krieges im Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erteilt worden ist (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG) davon ab, dass sie sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten und darüber hinaus im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig sind, laufende Geldleistungen nach dem Dritten B...

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