Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch; Berechtigung

 

Leitsatz (redaktionell)

Nach der Vorschrift des § 62 Abs. 2 EStG i.d.F. des JStG 1996 hing der Anspruch eines Ausländers auf Kindergeld davon ab, dass er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis war. Eine Aufenthaltsbewilligung, Aufenthaltsbefugnis oder Duldung reichte nicht aus. Entgegen ihrem Wortlaut ist die Vorschrift einschränkend dahin auszulegen, dass der Ausschluss von Ausländern von der Kindergeldberechtigung nicht für solche ausländischen Eltern gilt, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und sich seit mindestens einem Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 30.07.2009; Aktenzeichen III R 60/07)

BFH (Urteil vom 30.07.2009; Aktenzeichen III R 60/07)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin Kindergeld für ihre Kinder M (geb. 9.3.1991) und K (31.8.1994) zusteht. Die Kinder lebten im Streitzeitraum unstreitig im inländischen Haushalt der Klägerin.

Die Klägerin ist ukrainische Staatsbürgerin. Seit 1993 ist sie in Deutschland. Im Streitzeitraum verfügte sie lediglich über eine Aufenthaltsbefugnis.

Die Klägerin beantragte am 3.12.2001 Kindergeld für die vorgenannten Kinder. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Verfügung vom 9.1.2002 ab. Dabei handelte es sich um die erstmalige Ablehnung eines Kindergeldantrags. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 22.10.2002 zurück.

Mit der Klage beantragt die Klägerin,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 9.1.2002 und der Einspruchsentscheidung vom 16.4.2002 zu verpflichten, ihr Kindergeld für ihre zwei Kinder für die Zeit von Juli 1997 bis einschließlich September 2001 zu gewähren,

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf die Begründung in der Einspruchsentscheidung. Da die Klägerin bis einschließlich September 2001 keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, seien auch die Voraussetzungen der rückwirkend anzuwendenden Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG für die Gewährung von Kindergeld nicht gegeben. Angesichts des klaren Gesetzeswortlauts ergebe sich etwas anderes auch nicht daraus, dass die Ausweisung der Klägerin auf unbestimmte Zeit nicht möglich sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Klägerin steht das beantragte Kindergeld zu, weil ihre Ausweisung auf unbestimmte Zeit nicht möglich ist und sie sich seit über einem Jahr berechtigt in der BRD aufhält.

I. Die Kindergeldberechtigung der Klägerin ergibt sich aus § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG 1996, der vor dem Hintergrund des BVerfG-Beschlusses vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) entgegen seinem Wortlaut einschränkend dahin auszulegen ist, dass der Ausschluss von Ausländern von der Kindergeldberechtigung nicht für solche ausländischen Eltern gilt, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens 1 Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten.

1. Entgegen den Ausführungen des BFH in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03 (auf der Homepage des BFH erschienen am 9. Mai 2007) lehnt der erkennende Senat die Anwendung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG vom 13. Dezember 2006 auf den Streitfall ab, weil er deren Erstreckung auf Altfälle durch die Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG für verfassungsrechtlich unzulässig hält.

a) Gemäß § 62 Abs. 2 EStG, der durch Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (AuslAnsprG – BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62) an die Systematik der Aufenthaltstitel nach dem Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 30. Juli 2004 (AufenthG – BGBl I 2004, 1950) angepasst worden ist, hängt die Kindergeldberechtigung von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern, denen lediglich eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erteilt worden ist (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG) davon ab, dass sie sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten und darüber hinaus im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig sind, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG).

b) Die Regelung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten, erfasst aber darüber hinaus alle Sachverhalte, bei denen das Kindergeld – wie auch im Streitfall – noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 52 Abs. 61a Satz 2 EStG). Wegen der Anknüpfung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG an die Aufenthaltstitel nach den AufenthG einerseits und wegen der rückwirkenden Erstreckung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf ...

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