Entscheidungsstichwort (Thema)
Frage der wirksamen Bekanntgabe eines Umsatzsteuerbescheides bei Vorliegen einer Anscheinsvollmacht; Fall der Mandatsniederlegung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Anscheinsvollmacht setzt voraus, dass der Vertretene das Handeln eines angeblichen Vertreters nicht kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können, und ferner der Geschäftsgegner nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Vertretene dulde und billige das Handeln seines Vertreters.
2. Mit Blick auf den von einer schriftlichen Vollmacht ausgehenden Rechtsschein hätte ein Stpfl. nach Mandatsniederlegung der ihn bislang in Steuerangelegenheiten vertretenden Steuerberatungsgesellschaft die Vollmachtsurkunde gegenüber der Finanzbehörde für kraftlos erklären bzw. zurückfordern müssen, um einer etwaigen Weiterverwendung und dem Setzen eines Rechtsscheins vorzubeugen.
Normenkette
AO § 122 Abs. 1 S. 3
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 04.01.2012; Aktenzeichen XI B 84/11) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Umsatzsteuerbescheid 2008 wirksam bekanntgegeben wurde.
Der Beklagte ordnete gegenüber der Klägerin, einer GmbH, mit Verfügung vom 14.1.2009 die Durchführung einer Umsatzsteuersonderprüfung für die Jahre 2007 und 2008 an. Daraufhin erteilte die Klägerin der „B Steuerberatungsgesellschaft mbH” am 19.1.2009 eine Vollmacht. Mit dieser Vollmacht ermächtigte sie die Steuerberatungsgesellschaft gegenüber dem Beklagten zur Vertretung in ihren steuerlichen Angelegenheiten und räumte ihr darüber hinaus eine uneingeschränkte Empfangsvollmacht für das Besteuerungsverfahren ein. Die Vollmacht ging dem Beklagten am 22.1.2009 zu. Für nähere Einzelheiten wird auf die in den Gerichtsakten befindliche Vollmacht (Bl. 11 d.A.) Bezug genommen.
Die Umsatzsteuersonderprüfung wurde in der Zeit vom 11.2.2009 bis zum 18.6.2009 (Schlussbesprechung) durchgeführt. Dabei wurde die Klägerin von einem zuständigen Berufsträger der Steuerberatungsgesellschaft betreut. An der Schlussbesprechung nahmen neben dem Geschäftsführer der Klägerin auch der zuständige Berufsträger der Steuerberatungsgesellschaft teil.
Mit Schreiben vom 25.8.2009 – auf das für weitere Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 13 d.A.) – teilte die Steuerberatungsgesellschaft dem Beklagten mit, dass sie das Mandat niederlege und der zukünftige Schriftverkehr unmittelbar an die Klägerin gerichtet werden solle.
Mit Schriftsatz vom 24.9.2009 erhob die Steuerberatungsgesellschaft vor dem Finanzgericht Köln für die Klägerin in einem anderen Verfahren (Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer 2007) Klage. In diesem Zusammenhang übermittelte sie eine Ausfertigung der Klageschrift nebst Anhang sowohl an das Gericht als auch unmittelbar an den Beklagten. Bei den Unterlagen befand sich neben dem aktuellen Auftrag vom 23.9.2009 zur Durchführung des Klageverfahrens 2007 (vgl. Bl. 12 d.A.) auch eine Kopie der am 19.1.2009 ausgestellten Vollmacht.
Auf Grundlage der Feststellungen der Umsatzsteuersonderprüfung setzte der Beklagte mit Bescheid vom 8.10.2009, der nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand, die Umsatzsteuer für 2008 auf 43.961,92 EUR fest. Dieser Bescheid war an die Steuerberatungsgesellschaft als Empfangsbevollmächtigte adressiert und ging dieser zu. Zur Erläuterung wurde auf die Feststellungen im Betriebsprüfungsbericht verwiesen. Der Bescheid enthielt eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung, wonach innerhalb eines Monats Einspruch gegen den Bescheid eingelegt werden könne.
Mit Schreiben vom 13.1.2010 stellte die Steuerberatungsgesellschaft einen Antrag auf Herabsetzung der Umsatzsteuer 2008 und führte unter anderem folgendes aus: „Sofern für 2008 Steuerbescheide erteilt wurden, bitten wir sie, diese zuzustellen und legen hilfsweise Einspruch ein und beantragen die Aussetzung der Vollziehung des angegebenen Betrags nach § 361 Abs. 1 AO. Für nähere Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 13.1.2010 Bezug genommen, das sich in den Akten des Beklagten befindet.
Am 15.1.2010 fand ausweislich eines Aktenvermerks in der Steuerakte des Beklagten – auf den für weitere Einzelheiten Bezug genommen wird – ein Telefongespräch zwischen dem seinerzeit zuständigen Sachgebietsleiter und dem zuständigen Steuerberater der Steuerberatungsgesellschaft statt. Im Rahmen dieses Gesprächs räumte der Steuerberater ein, dass der geänderte Umsatzsteuerbescheid für 2008 vom 8.10.2009 seinerzeit tatsächlich bei der Steuerberatungsgesellschaft eingegangen sei.
Vor diesem Hintergrund wertete der Beklagte das Schreiben vom 13.1.2010 als Einspruch und wies den steuerlichen Berater mit Schreiben vom 19.1.2010 – auf das für weitere Einzelheiten Bezug genommen wird – darauf hin, dass dieser Einspruch wegen Versäumnis der Einspruchsfrist unzulässig sei. Darüber hinaus lehnte er die beantragte Aussetzung der Vollziehung ab und wies auf die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hin.
In der Folgezeit bestellte sich für die Klägerin am 12.2.2010 ein neuer steuerlicher...