Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträgliches Bekanntwerden „neuer Tatsachen", maßgeblicher Zeitpunkt bei vorangegangener Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung
Leitsatz (redaktionell)
1) Die Regelungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO über die Änderung eines Steuerbescheids zum Nachteil des Steuerpflichtigen gelten gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 AO und § 173 Abs. 2 AO auch für die Änderung der Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung zum Nachteil eines Steuerpflichtigen.
2) Im Fall der Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung ist dessen Erlasszeitpunkt maßgeblich für die Beurteilung, ob Tatsachen i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO „nachträglich” bekannt werden. Sind Tatsachen oder Beweismittel zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt, ist eine spätere Aufhebung oder Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht mehr möglich.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 155 Abs. 1 S. 3
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob der zum Nachteil des Klägers geänderte Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr (2010) vom 1.9.2015 durch eine Korrekturvorschrift gedeckt ist.
Der Kläger eröffnete 1971 in A Stadtteil B einen Betrieb für Ackerbau und eine …. Der Beklagte stufte die Tätigkeit des Klägers, auch im Rahmen einer 1990 durchgeführten Betriebsprüfung, insgesamt als Landwirtschaft ein. Die Umsatzbesteuerung wurde gemäß § 24 UStG nach Durchschnittssätzen durchgeführt, Umsatzsteuererklärungen brauchte der Kläger deswegen nicht abzugeben. Die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen wurden vom Kläger nach und nach veräußert. Die Gebäude auf der Hofstelle riss er ab und errichtete Gebäude mit Wohnungen zur kurzfristigen Beherbergung ungarischer Arbeitnehmer. Die Einnahmen zeichnete er korrekt auf. Die … gab der Kläger Ende 2008 endgültig auf. Der Prozessbevollmächtigte übernahm in 2006 die steuerliche Beratung.
Im Rahmen einer 2013 für die Wirtschaftsjahre 1.7.2006 bis 30.06.2010 durchgeführten Betriebsprüfung stellte sich der Prüfer auf den Standpunkt, dass der Kläger seinen landwirtschaftlichen Betrieb zunächst zum Ruhen gebracht und dann im Wege des Strukturwandels in einen Gewerbebetrieb umgewandelt habe, nämlich in Gestalt der Zimmervermietung. Da die Berechtigung zur Durchschnittssatzbesteuerung entfallen sei, müssten die betreffenden Umsätze der Regelbesteuerung unterworfen werden. Die Einnahmen – auch für die erste Hälfte des Streitjahres (= 24.154,70 €) – konnte der Prüfer den Aufzeichnungen des Klägers entnehmen. Lediglich die anrechenbaren Vorsteuern mussten in der Prüfung erstmals ermittelt werden. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass er verpflichtet sei, ab dem Streitjahr Umsatzsteuererklärungen abzugeben. Die erste Fassung des Prüfungsberichts des Finanzamts für Groß- und Konzernbetriebsprüfung C trägt das Datum 12.7.2013. Auf dieser Grundlage erließ das Finanzamt D erstmalige Umsatzsteuerbescheide – mit Rücksicht auf den Prüfungszeitraum – nur für die Jahre 2006 bis 2009. Im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens wurde der Prüfungsbericht geändert und diese Fassung dem Kläger unter dem Datum 4.2.2014 bekannt gegeben.
Durch Bescheid vom 12.2.2014 setzte das seinerzeit zuständige Finanzamt D die Umsatzsteuer für das Streitjahr auf 310 € fest. Eine Umsatzsteuererklärung des Klägers lag seinerzeit noch nicht vor. Das Finanzamt legte dabei zugrunde
Umsätze allgemeiner Steuersatz 49.000 €, 19% Umsatzsteuer = |
9.310 € |
Vorsteuerbeträge |
./. 9.000 € |
Umsatzsteuer |
310 € |
Der Festsetzung ist kein Nachprüfungsvorbehalt oder Vorläufigkeitsvermerk beifügt.
Die Umsatzsteuererklärung des Klägers für das Streitjahr wurde vom Prozessbevollmächtigten am 26.6.2014 elektronisch dem Finanzamt D übermittelt. Das Papierexemplar unterzeichnete der Kläger am 30.6.2014, es ging am 1.7.2014 beim Finanzamt D ein. In dieser Erklärung berechnete der Kläger als verbleibende Umsatzsteuer einen Betrag in Höhe von 4.728,72 €, der sich wie folgt zusammensetzte:
Umsätze allgemeiner Steuersatz 25.377 €, 19% Umsatzsteuer = |
4.821,63 € |
Umsätze ermäßigter Steuersatz 34.800 €, 7% Umsatzsteuer = |
2.436,00 € |
Vorsteuerbeträge |
./. 2.528,91 € |
Umsatzsteuer |
4.728,72 € |
Infolge des Wegfalls der Einkünfte aus Land und Forstwirtschaft war der Beklagte für den Steuerfall zuständig geworden und ordnete am 29.7.2014 dessen Umspeicherung an. Unter Hinweis auf die Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr erließ der Beklagte am 21.8.2014 einen Ablehnungsbescheid. Er wertete die eingereichte Umsatzsteuererklärung als Antrag auf Änderung des Steuerbescheids vom 12.2.2014 und lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, der Bescheid vom 12.2.2014 sei zum Zeitpunkt des Erklärungseingangs am 1.7.2014 rechtskräftig gewesen. Der Bescheid sei nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen und auch nicht mit dem Einspruch angefochten worden. Andere Änderungsnormen der AO seien ebenfalls nicht einschlägig. Die nicht fristgemäß eingegangene Umsatzsteuererklärung könne nicht berücksichtigt werden und werde lediglich zu den Akten genommen. Der Bescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten mit einer R...