Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsätze im Rahmen eines Schülercoachings
Leitsatz (redaktionell)
Die Antragstellerin kann hinsichtlich der von ihr erbrachten Unterrichtsleistungen unmittelbar die Steuerbefreiung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL beanspruchen. Da diese Bestimmung des Gemeinschaftsrechts vom nationalen Gesetz nicht hinreichend umgesetzt worden ist (vgl. BFH v. 24.1.2008, V R 3/05, DStR 2008, 919), kann sich ein Unternehmer gegenüber einer für ihn nachteiligen Bestimmung des nationalen Umsatzsteuerrechts auf eine für ihn günstigere Bestimmung des Unionsrechts berufen (vgl. BFH v. 18.8.2005, V R 71/03, BStBl II 2006, 143 und v. 19.5.2005, V R 32/03, BStBl II 2005, 900 und EuGH v. 19.1.1982, C-8/81, UR 1982, 70).
Normenkette
UStG § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb i. V. m. Buchst. b Doppelbuchst. bb; AO § 171 Abs. 10; MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 Buchst. i, j
Tenor
1. Die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 2010 vom 5. Juni 2012 wird in Höhe von 2.565,90 EUR für die Dauer des Einspruchsverfahrens ausgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Antragstellerin steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 21 Umsatzsteuergesetz in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung (UStG) ausführt.
Die Antragstellerin betreibt eine Tierhandlung. Daneben leitet sie ein „Schülercoaching”, mit dem sie Kinder und Jugendliche unter anderem auf Abiturprüfungen, Realschul- und qualifizierte Hauptschulabschlüsse sowie auf den Übertritt von der vierten Klasse der Grundschulen auf weiterführende Schulen vorbereitet. Außerdem erteilt sie Nachhilfeunterricht für Schüler mit Lernschwächen. Alle Leistungen erfolgen unter den Vorgaben und mit den Büchern der jeweiligen Schule und werden bei Schülern aus gering verdienenden Familien im Rahmen des Bildungsprogramms des Bundesministeriums für Bildung und Erziehung vergütet. Eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde, dass sie mit ihrer Tätigkeit auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereite, wurde ihr nicht erteilt.
In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2010 errechnete die Antragstellerin im Zusammenhang mit den Umsätzen aus der Tierhandlung (1.001 EUR) eine negative Umsatzsteuer von 2.982,67 EUR. Da sie davon ausging, dass sie im Zusammenhang mit dem Schülercoaching steuerfreie Umsätze ausführte, unterwarf sie diese nicht der Umsatzsteuer.
Davon abweichend setzte das Finanzamt (FA) die Umsatzsteuer 2010 mit Bescheid vom 5. Juni 2012 auf 2.565,90 EUR fest und behandelte die Umsätze im Zusammenhang mit dem Schülercoaching als umsatzsteuerpflichtig. Es vertrat die Auffassung, dass sich die Antragstellerin nicht auf die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG berufen könne, weil sie nicht über die nach dieser Vorschrift erforderliche Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde verfüge.
Über den dagegen eingelegten Einspruch hat das FA noch nicht entschieden, der am 18. Juni 2012 gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde am 21. Juni 2012 abgelehnt.
Mit ihrem beim Finanzgericht gestellten Antrag macht die Antragstellerin im Wesentlichen geltend, dass das FA die im Rahmen des Schülercoachings vereinnahmten Umsätze zu Unrecht der Umsatzsteuer unterworfen habe. Für die Inanspruchnahme der Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG sei die Vorlage einer Bescheinigung der Landesbehörde nicht mehr zwingend erforderlich. Dies bestätige das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 16. Juni 2011 (6 K 165/10) und zwei Verfügungen der OFD Frankfurt. Auch nach Abschn. 4.21.2. Abs. 2 des Anwendungserlasses zur Umsatzsteuer (UStAE) sei für das Vorliegen steuerfreier Umsätze ausreichend, wenn sich die Leistung auf eine Unterstützung des Schul- und Hochschulangebots bzw. auf die Verarbeitung oder Repetition des von der Schule angebotenen Stoffs beschränke. Genau diesen Tatbestand erfülle sie mit ihrer Tätigkeit.
Im Übrigen berufe sie sich unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 ABl EG Nr. L 347/1 vom 11. Dezember 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRl). Auch nach dem Gemeinschaftsrecht unterlägen die Umsätze aus dem Schülercoaching nicht der Umsatzsteuer.
Die Antragstellerin beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid 2010 vom 5. Juni 2012 in Höhe von 2.565,90 EUR von der Vollziehung auszusetzen.
Das FA beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es weist darauf hin, dass sich die Antragstellerin wegen der fehlenden Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde nicht auf die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG berufen könne. Die von der Antragstellerin zitierten Verfügungen sowie das Urteil des Finanzgerichts Hamburgs könnten inhaltlich nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten und die im Verfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidu...