Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsleitende Betriebsstätte eines portugiesischen Bauunternehmens im Inland als Betriebsstätte im Sinne des Abkommensrechts. Verpflichtung zum Lohnsteuerabzug. Haftung des Verfügungsberechtigten. Haftungssumme
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine feste Geschäftseinrichtung, die als geschäftsleitende Betriebsstätte dazu dient, 15 verschiedene Bauausführungen nacheinander oder nebeneinander baustellenübergreifend über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren durchzuführen und von dort aus die gesamten Aktivitäten des Unternehmens in dem betreffenden Staat zu organisieren und zu steuern, ist Betriebsstätte sowohl im Sinne von § 12 AO als auch im Sinne von Art. 5 des DBA Portugal. Von den an die bei den einzelnen Bauausführungen beschäftigten Arbeitnehmer ausgezahlten Löhnen ist Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen, ohne dass es auf die Aufenthaltsdauer der einzelnen Arbeitskräfte im Inland ankäme.
2. Wer nach außen hin so auftritt, als könne er über fremdes Vermögen verfügen, und faktisch die Aufgaben eines Geschäftsführers wahrnimmt, ist Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO und kommt als Haftungsschuldner hinsichtlich schuldhaft und pflichtwidrig nicht einbehaltener und abgeführter Lohnsteuer in Betracht.
3. Zur Ermittlung der Haftungssumme ist die Steuerklasse I unter Berücksichtigung der Kinder nach der Monatslohnsteuertabelle auf die zur Auszahlung gekommenen Löhne anzuwenden.
Normenkette
AO 1977 §§ 34-35, 12 Abs. 1, §§ 69, 71; EStG 1990 § 38 Abs. 1, §§ 41a, 42d; DBA PRT Art. 5 Abs. 1, 3, Art. 15 Abs. 2
Nachgehend
Tenor
1. Unter Abänderung des Haftungsbescheides vom 8. Mai 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Februar 1998 wird der Haftungsbetrag auf insgesamt 524.209,16 EUR vermindert.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 4/5, der Beklagte zu 1/5.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollziehung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Der Kläger war in den Jahren 1994 und 1995 für die portugiesische Firma C. E. R. SA (CER) in Deutschland tätig. Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung bei drei im Inland tätigen portugiesischen Firmen, die Bauleistungen erbrachten, wurde festgestellt, dass diese trotz erheblicher Umsätze und Beschäftigung von überwiegend portugiesischen Bauarbeitern keine Steuererklärungen, insbesondere keine Lohnsteueranmeldungen abgegeben hatten.
Hinsichtlich der CER traf die Steuerfahndung folgende Feststellungen: Für verschiedene Auftraggeber seien im Zeitraum April 1994 bis Oktober 1995 15 Bauvorhaben durchgeführt worden, deren Dauer zwischen drei und 13 Monaten betragen habe. Die Rechnungssumme habe sich auf insgesamt 11.642.282 DM belaufen. Hinsichtlich der einzelnen Bauvorhaben wird auf Tz. 3.2.1 des Fahndungsberichts vom 26. Februar 1996 Bezug genommen.
Zur Abwicklung der Aufträge habe die CER Büroräume in T. angemietet. Bei der Durchsuchung der Räume seien wichtige Geschäftsunterlagen der CER sichergestellt worden: ca. 80 Leitzordner mit Werkverträgen, Schriftverkehr mit den Auftraggebern, Umsatzberechnungen, Kostenaufstellungen, Aufzeichnungen über ausgezahlte Lohnvorschüsse, Mietverträge, Leasingverträge, Vertragsangebote, sonstiger Schriftverkehr von und an die CER sowie ca. 350 Hängeordner zum Teil mit Arbeitsverträgen bzw. Sozialversicherungsunterlagen. Ferner hätten sich in den Räumen mehrere Schreibtische, Stühle, Aktenschränke, Telefone, ein Computer sowie Faxgerät und Kopierer befunden. Nach den Aussagen der Angestellten C. und P. und aufgrund der weiteren Ermittlungen habe sich ergeben, dass in den Büroräumen seit April 1994 verschiedene Tätigkeiten für die CER ausgeübt worden seien. Auf Tz. 4.7.1 des Fahndungsberichtes wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Die Steuerfahndung ging davon aus, dass durch dieses Büro eine Betriebsstätte sowohl i.S.d. § 12 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) als auch des Art. 5 Abs. 1 des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) mit Portugal begründet worden sei. Die CER sei daher verpflichtet gewesen, als inländischer Arbeitgeber gemäß Art. 15 DBA sowie §§ 38 Abs. 1 Nr. 1 und 41 a Einkommensteuergesetz (EStG) – unabhängig von der Dauer der jeweiligen Bauausführung – von den (größtenteils in Portugal) ausgezahlten und auf die inländischen Bauausführungen entfallenden Löhnen Lohnsteuer einzubehalten, anzumelden und abzuführen.
Mangels Unterlagen über Höhe und Empfänger der einzelnen Lohnzahlungen schätzte der Prüfer die Summe der Lohnzahlungen auf 60 % der Umsätze, da die CER ihre Tätigkeit durch bloße Überlassung von Arbeitskräften ausgeübt habe. Ab Juli 1995 wurden jedoch nur 50 % der ermittelten Lohnsumme der Versteuerung unterworfen, da für diese Zeiträume die volle Auszahlung nicht nachgewiesen werden konnte. Es ergaben sich insgesamt Löhne in Höhe von...