Entscheidungsstichwort (Thema)
§ 174 Abs. 4 AO erfasst nur Anpassungen aus einem Sachverhalt und nicht Rechtsfolgen aus dem Sachverhalt
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Vorschrift des § 174 Abs. 4 AO erfasst nur Anpassungen, die sich aus dem Sachverhalt, nicht aber aus den steuerlichen Folgen dieses Sachverhalts ergeben. Es muss sich um eine steuerliche zu ziehende Folgerung unmittelbar aus dem Sachverhalt handeln.
2. Damit kann ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid nicht deshalb unter Berufung aus § 174 Abs. 4 AO geändert werden, weil sich die im Schätzungsweg als Betriebsausgaben berücksichtigten Umsatzsteuerverbindlichkeiten aufgrund des im Einspruchsverfahren anders gewürdigten umsatzsteuerlichen Streits über die Höhe der Umsatzsteuer bei der Kompostierung von Bioabfällen gegen Entgelt nunmehr vermindert haben.
Normenkette
AO § 174 Abs. 4
Tenor
1. Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2005 vom 22.11.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.7.2011 werden aufgehoben, so dass die ursprünglichen Bescheide vom 22.9.2009 wieder Geltung erlangen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob das beklagte Finanzamt (FA) berechtigt war, die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2005 gemäß § 174 Abs. 4 Satz 1 Abgabenordnung (AO) zu ändern.
Die Klägerin erzielte in den Streitjahren im Wesentlichen Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft.
In der Zeit vom 13.2. bis zum 11.4.2008 wurde der landwirtschaftliche Betrieb vom FA geprüft. Prüfungszeitraum waren die Jahre 2002 bis 2005. Nach den Feststellungen des Prüfers verwertete die Klägerin für den … Abfallwirtschafts-Verband (AWV) die Bioabfälle auf ihrem eigenen Komposthof. Für diese Leistungen hatte die Klägerin die Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 Umsatzsteuergesetz (UStG) durchgeführt. Der Prüfer war der Auffassung, dass diese Umsätze der Regelbesteuerung unterliegen und erhöhte die Umsatzsteuer für die Streitjahre in Höhe von 10.113,74 EUR (2002), 10.260,75 EUR (2003), 16.959,81 EUR (2004) und in Höhe von 15.058,36 EUR (2005).
Diese Mehrsteuern berücksichtigte der Prüfer in der Prüferbilanz für die Streitjahre gewinnmindernd bei der Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft (LuF) unter der Bilanzposition „Mehrsteuern lt. BP” (vgl. Prüfungsbericht vom 6.11.2008, Tz. 1.12, 3.2 und Anlage 3).
Entsprechend den Feststellungen im Bericht vom 6.11.2008 erließ das FA am 22.9.2009 Änderungsbescheide für die Jahre 2002 bis 2005 und veranlagte folgende Einkünfte aus LuF:
Veranlagungszeitraum |
2002 |
2003 |
2004 |
2005 |
Einkünfte aus Luf |
83.017 EUR |
50.320 EUR |
76.554 EUR |
74.100 EUR |
Ferner setzte das FA mit Bescheiden vom 22.9.2009 die vom Prüfer festgestellten Umsatzsteuern (vgl. Bericht Tz. 3.1.) für die Jahre 2002 bis 2005 fest.
Gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2005 legte die Klägerin Einspruch ein.
Das FA erließ am 22.11.2010 Abhilfebescheide in Sachen Umsatzsteuer 2002 bis 2005 und setzte die Umsatzsteuer auf 0 EUR fest.
Mit Bescheiden vom gleichen Tag änderte das FA auch die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2005 gemäß § 174 Abs. 4 AO und erhöhte die Einkünfte aus LuF:
Veranlagungszeitraum |
2002 |
2003 |
2004 |
2005 |
Einkünfte aus LuF |
88.074 EUR |
60.508 EUR |
90.164 EUR |
90.109 EUR |
In den Erläuterungen zur Festsetzung wies das FA darauf hin, dass die Änderung nach § 174 AO erfolgt sei, da dem Einspruch der Klägerin wegen der Umsatzsteuerpflicht stattgegeben wurde.
Gegen die Erhöhung der Einkünfte aus LuF für die Jahre 2002 bis 2005 legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung erklärte sie, dass eine Änderung nicht mehr zulässig sei. Die Bescheide seien bestandskräftig geworden und die Vorbehalte der Nachprüfung aufgehoben worden. Die Regelung des § 174 AO beziehe sich nur auf eine Steuerart. Ferner wies die Klägerin darauf hin, dass für die damals streitigen Umsatzsteuerverbindlichkeiten Rückstellungen in den Bilanzen zu passivieren waren. Eine Änderung der Bilanzposition „Mehrsteuern” sei grundsätzlich nur bis zur Bestandskraft der Bescheide möglich. Zudem würde auch bei einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG die bezahlte Umsatzsteuer den Gewinn im Jahr des Abflusses mindern und die erstattete Umsatzsteuer den Gewinn im Jahr des Zuflusses erhöhen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 21.7.2011 wies das FA die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung wies das FA darauf hin, dass Änderungen nach § 174 AO nicht auf die gleiche Steuerart beschränkt seien. Die Regelung des § 174 Abs. 4 AO gehe im Übrigen dem Grundsatz des formellen Bilanzzusammenhangs vor. Die Bilanzen seien deshalb in den Streitjahren zu berichtigen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Klage. Zur Begründung trägt die Klägerin vor, dass...