Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutzbedürfnis. Klage gegen hinsichtlich beschränkt abzugsfähiger Vorsorgeaufwendungen vorläufig erlassenen Einkommensteuerbescheid
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn der Steuerbescheid in dem verfassungsrechtlichen Streitpunkt vorläufig ergangen ist, diese Streitfrage sich in einer Vielzahl im Wesentlichen gleichgelagerter Verfahren (Massenverfahren) stellt und bereits ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren beim BVerfG anhängig ist.
2. Hinsichtlich des beschränkten Abzugs von Vorsorgeaufwendungen sind Verfahren beim BVerfG anhängig. Die Klägerin kann die Klärung der Streitfragen in den Musterverfahren abwarten, ohne dadurch unzumutbare Rechtsnachteile zu erleiden.
Normenkette
AO § 119 Abs. 1, § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3; EStG § 10 Abs. 1 Nrn. 2-3, 3a, Abs. 2-4, 4a
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger ist Steuerberaterin und erzielte im Streitjahr Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 41.909 EUR. In der Einkommensteuererklärung 2008 gab sie Beiträge in Höhe von 6.420 EUR zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen, in Höhe von 4.842 EUR zu freiwilligen Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit, Erwerbs-, Berufsunfähigkeitsversicherungen, Kranken- und Pflegeversicherungen, in Höhe von 291 EUR für Unfall- und Haftpflichtversicherungen und in Höhe von 1.348 EUR zu Rentenversicherungen mit Kapitallebensversicherungen mit mindestens 12 Jahren Laufzeit … an.
Der Bescheid über Einkommensteuer für 2008 erging am 28. Juni 2010 nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) teilweise vorläufig, u.a. hinsichtlich
Von den Altersvorsorgeaufwendungen in Höhe von 6.420 EUR waren 66 %, d.h. 4.238 EUR, und von den übrigen Vorsorgeaufwendungen in Höhe von 6.320 EUR waren 2.400 EUR im Einkommensteuerbescheid für 2008 berücksichtigt.
Aus hier nicht streitigen Gründen wurde der Einkommensteuerbescheid für 2008 mit Bescheid vom 7. Juni 2013 geändert.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein und trug vor, dass streitig sei, ob § 10 Abs. 4 Satz 4 EStG verfassungsgemäß sei, weil durch das Übersteigen der Höchstbeträge gemäß § 10 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 EStG durch die Vorsorgeaufwendungen i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG die notwendigen Vorsorgeaufwendungen i.S. von § 10 Abs.1 Nr. 3a EStG nicht abzugsfähig seien. Die geltend gemachten Aufwendungen gehörten zu den unvermeidbaren Privataufwendungen i.S. des subjektiven Nettoprinzips (vgl. hierzu auch Lang in Tipke/Kruse, Steuerrecht, 20. Aufl., § 9 Rz. 68 ff und § 4 Rz. 114). Der Gesetzgeber habe selbst in der Aufzählung des § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG erkannt und damit akzeptiert, dass die geltend gemachten Aufwendungen zu den notwendigen Vorsorgeaufwendungen gehörten. Damit müssten sich diese Aufwendungen auf die Höhe der Einkommensteuerbelastung auswirken. Dies entspreche auch den Grundsätzen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06, DStR 2008, 604). Die Höchstbetragsberechnung des § 10 Abs. 4 EStG könne nicht mit dem Praktikabilitätsprinzip begründet werden, weil hier in der Realität aus haushaltpolitischen Gründen eine Einteilung in notwendige Vorsorgeaufwendungen erster und zweiter Ordnung vorgenommen werde, ohne dass es hierfür eine Begründung gebe. Bei jeder Typisierung gelte es zu beachten, dass die notwendigen Aufwendungen möglichst in allen Fällen Berücksichtigung fänden (vgl. hierzu auch Lang in Tipke/Kruse, Steuerrecht, 20. Aufl., § 4 Rz. 132). Gerade dies sei hier nicht der Fall, weil aufgrund der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG in nahezu allen Fällen der Höchstbetrag des § 10 Abs. 4 Satz 1 EStG überschritten werde. Haushaltspolitische Gründe rechtfertigten nach der Rechtsprechung des BVerfG und des Bundesfinanzhof (BFH) jedoch gerade nicht den Ausschluss von Aufwendungen, die nach den Grundsätzen des objektiven oder subjektiven Nettoprinzips abzugsfähig sein müssten (vgl. Spindler u.a.., DStR 2007 Beihefter zu Heft 39). Es werde daher beantragt die geltend gemachten Vorsorgeaufwendungen in voller Höhe als Sonderausgaben zuzulassen.
Mit Schreiben vom 17. Juli 2013 wies der Beklagte (das Finanzamt – FA –) die Klägerin darauf hin, dass der angefochtene Einkommensteuerbescheid für 2008 hinsichtlich der Vorsorgeaufwendungen vorläufig sei. Die Vorläufigkeitserklärung erfasse sowohl die Frage der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht als auch die Frage der einfachgesetzlichen Auslegung, so dass der Ausgang der Musterverfahren, gleichgültig von welchen rechtlichen Überlegungen der BFH oder das BVerfG ausgegangen sei, von dem Vorläufigkeitsvermerk abgede...