Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis bei vorläufig ergangenem Steuerbescheid
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn der Steuerbescheid in dem verfassungsrechtlichen Streitpunkt vorläufig ergangen ist, diese Streitfrage sich in einer Vielzahl im Wesentlichen gleichgelagerter Verfahren (Massenverfahren) stellt und bereits ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren beim BVerfG anhängig ist.
2. Im Streitfall bestanden am Tag der mündlichen Verhandlung unter anderen hinsichtlich des beschränkten Abzugs von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3, 4, 4a EStG; 2 BvR 289/10, 2 BvR 288/10, 2 BvR 290/10, 2 BvR 323/10, 2 BvR 598/12) sowie der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zur Rentenversicherung als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften nach § 22 Nr. 1 S. 3 a EStG (2 BvR 1066/10) Vorläufigkeitsvermerke, weil Verfahren beim BVerfG anhängig sind. Bezüglich der Höhe des Grundfreibetrags (§ 32 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EStG) sind derzeit zwar nur Verfahren vor dem BFH anhängig, die auch nicht das Streitjahr 2008, sondern die Jahre 2000 bis 2002 betreffen (X R 40/09, X R 41/09, X R 39/09, X R 38/09; diese Verfahren ruhen gemäß Beschluss v. 25.4.2012 bis zur Entscheidung des BVerfG im Verfahren 2 BvR 598/12). Jedoch fehlt dem Kläger auch für beim BFH anhängige Verfahren hier das Rechtschutzbedürfnis, denn ab dem 1.1.2009 kann eine vorläufige Veranlagung erfolgen, wenn die Auslegung eines Gesetzes Gegenstand eines Verfahrens vor dem BFH ist. Eine nach § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO vorläufige Festsetzung kann auch dann geändert werden, wenn der BFH oder das BVerfG eine Norm verfassungskonform auslegt (vgl. BFH, in BFHE 231, 7, BStBl II 2011, 11).
Normenkette
AO § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3; EStG § 10 Abs. 3-4, 4a, § 32a Abs. 1 S. 2 Nr. 1
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Von der Erhebung der Gerichtskosten wird abgesehen.
Tatbestand
I.
Der Kläger ist Rechtsanwalt und erzielte im Streitjahr Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 18.068 EUR. Er ist Vater von zwei unterhaltsberechtigten Kindern und wird beim Beklagten (dem Finanzamt) zur Einkommensteuer veranlagt. In der Einkommensteuererklärung 2008 gab der Kläger Beiträge in Höhe von 257 EUR zu einer zusätzlichen freiwilligen Pflegeversicherung, in Höhe von 3.869 EUR für freiwillige …. Kranken- und Pflegeversicherungen, in Höhe von 619 EUR für Unfall- und Haftpflichtversicherungen … und in Höhe von 254 EUR für Rentenversicherung … an.
Der angefochtene Änderungsbescheid über Einkommensteuer 2008 vom 21. Juli 2010 erging nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 der Abgabenordnung (AO) teilweise vorläufig. u.a. hinsichtlich
Das Finanzamt hob den Vorbehalt der Nachprüfung im Bescheid auf und setzte die Einkommensteuer 2008 auf 1.113 EUR fest. Im Bescheid wurde erläutert, dass die Günstigerprüfung ergeben habe, dass die Ermittlung der abziehbaren Vorsorgeaufwendungen nach der Rechtslage 2004 zu einem günstigeren Ergebnis geführt habe und die Vergleichsberechnung ergeben habe, dass die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Kinder des Klägers durch das ausgezahlte Kindergeld bewirkt worden sei.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Einspruch ein, den er trotz mehrfacher Aufforderung des Finanzamts nicht begründete.
Mit Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2011 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück.
Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen die Höhe der veranlagten Einkommensteuer 2008. Diese sei um mindestens 814 EUR zu mindern. Er habe im Streitjahr für seine Kinder 6.250 EUR Unterhalt bezahlt. Dem selbständigen Steuerbürger mit zwei unterhaltsberechtigten Kindern werde nach Abzug der Wohnkosten und der Altersvorsorge-/Krankenversicherungsaufwendungen nicht das in München notwendige Existenzminimum belassen. Sein steuerliches Existenzminimum müsse daher entweder höher sein als bei Arbeitnehmern oder seine Abzugsmöglichkeiten bei den beschränkt abzugfähigen Sonderausgaben müssten höher sein. Sollten die von ihm vorgetragenen Aspekte bereits im Rahmen der anhängigen Verfassungsbeschwerden bereits überprüft werden, bestehe mit dem Ruhen des Verfahrens Einverständnis.
Der Kläger beantragt,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2008 vom 21. Juli 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2011 die festgesetzte Einkommensteuer 2008 um 814 EUR herabzusetzen.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es sei anzumerken, dass die angefochtene Festsetzung der Einkommensteuer 2008 hinsichtlich der Höhe des Grundfreibetrags und hinsichtlich der Abzugsbeschränkunge...