Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellung des Bescheids an den Steuerpflichtigen persönlich nach vorheriger umfangreicher Tätigkeit eines Bevollmächtigten unwirksam. Zustellung eines Haftungsbescheides an den Steuerpflichtigen persönlich auch ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht des Vertreters unwirksam, wenn letzterer dem FA seine Bestellung angezeigt und dieses darauf hin den gesamten Schriftverkehr mit dem Vertreter geführt hat. Haftung für Umsatzsteuer 1992, 1993. Körperschaftsteuer 1992, 1993 steuerliche Nebenleistungen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zustellung eines Haftungsbescheides an den Steuerpflichtigen persönlich ist auch ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht des Bevollmächtigten unwirksam, wenn der Bevollmächtigte im vorhergehenden Haftungsprüfungsverfahren seine Beauftragung durch den Steuerpflichtigen mitgeteilt, den gesamten umfangreichen Schriftverkehr mit dem FA geführt hat und keine besonderen, für die spätere Zustellung des Bescheids an den Steuerpflichtigen persönlich sprechenden Gründe ersichtlich sind.
2. Dieser Zustellungsmangel i. S. von § 9 Abs. 1 VwZG wird erst dann geheilt -und die Einspruchsfrist läuft erst dann an–, wenn der Bevollmächtigte den Bescheid tatsächlich erhalten hat.
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 5, §§ 80, 355 Abs. 1; VwZG § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. Die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 7. Oktober 1998, soweit sie den Einspruch gegen den Haftungsbescheid vom 24. November 1997 betrifft, wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob der Kläger die Frist für den Einspruch gegen den streitigen Haftungsbescheid versäumt hat.
Der Beklagte (Finanzamt – FA) erließ am 24. November 1997 gegen den Kläger einen Haftungsbescheid über Rückstände der GmbH an Steuern und steuerlichen Nebenleistungen in Höhe von 52.957, 71 DM (vgl. Bl. 92–99 der Haftungsakte), der dem Kläger laut Postzustellungsurkunde am 25. November 1997 durch Niederlegung zugestellt wurde.
Dagegen legten die Klägervertreter am 14. Januar 1998 beim Zentralfinanzamt München Einspruch ein, der am 19. Januar 1998 beim beklagten Finanzamt einging. Dieses verwarf den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 7. Oktober 1998 als unzulässig.
Dagegen ist die Klage gerichtet. Zur Klagebegründung trägt der Kläger vor, das FA habe den Haftungsbescheid ermessensfehlerhaft dem Kläger persönlich zugestellt.
Im übrigen wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 6. November 1998 und 10. Januar sowie 22. Februar 2002 verwiesen.
Der Kläger beantragt, die Einspruchsentscheidung des FA vom 7. Oktober 1998 aufzuheben soweit sie den Einspruch gegen den Haftungsbescheid vom 24. November 1997 betrifft.
Das Finanzamt beantragt
die Klage abzuweisen.
Auf den Schriftsatz des FA vom 1. Dezember 1998 wird verwiesen.
Beide Beteiligte haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündlicher Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Klage ist begründet.
Dem Einspruch des Klägers lässt sich keine Versäumung der Einspruchsfrist entgegenhalten.
Nach § 355 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) ist der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts (hier des streitbefangenen Haftungsbescheides) einzulegen.
1. Die vorliegende Zustellung des Haftungsbescheides an den Kläger persönlich am 25. November 1997 kann wegen Ermessensfehlgebrauches nicht als wirksam angesehen werden.
Im Streitfall ist von § 8 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) als Rechtsgrundlage auszugehen, da das FA die Zustellung des streitigen Haftungsbescheides angeordnet hat (§ 1 Abs. 3 VwZG, § 122 Abs. 5 AO).
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG können Zustellungen an den allgemeinen oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Vertreter gerichtet werden. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 VwZG sind sie an ihn zu richten, wenn er schriftliche Vollmacht vorgelegt hat.
Liegt der Finanzbehörde – wie im Streitfall – keine schriftliche Vollmacht vor, so hat diese nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die Zustellung unmittelbar gegenüber dem Bevollmächtigten im mutmaßlichen Interesse des Steuerpflichtigen liegt (BFH-Urteil vom 29.07.1987 I R 367/83, I R 379/83, I R 367/83, I R 379/83, BStBl II 1988, 242). Dabei hat sie einerseits zu berücksichtigen, dass der Steuerpflichtige einen steuerlichen Berater in der Regel einschaltet, um sich dessen Fachverstand und Büroorganisation auch in Verfahrensfragen zunutze zu machen. Andererseits kann der Steuerpflichtige schon aus gebührenrechtlichen Gründen daran interessiert sein, Bescheide persönlich in Empfang zu nehmen, zunächst persönlich zu prüfen und einen Fristablauf auch persönlich zu überwachen. Die Finanzbehörde muß desha...