Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung einer Verfahrenserklärung. Feststellungslast für den fristgerechten Eingang des Einspruchs. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Auslegung einer Verfahrenserklärung darf nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der verkörperten Erklärung selbst keine Anhaltspunkte mehr finden lassen. Der wesentliche Inhalt einer Verfahrenshandlung muss sich zumindest andeutungsweise aus der (schriftlich) verkörperten Erklärung ergeben. Eine Umdeutung der Verfahrenserklärungen von Angehörigen der rechts- oder steuerberatenden Berufe scheidet regelmäßig aus.

2. Die Feststellungslast für den fristgerechten Eingang eines Schriftstücks trägt der Absender. Ihm darf allerdings nicht die Feststellungslast für Vorgänge aufgebürdet werden, die sich im behördeninternen Bereich abgespielt haben und deren Unaufklärbarkeit allein in den Verantwortungsbereich der Behörde fällt.

3. Im Einzelnen ist im Zusammenhang mit einem Wiedereisetzungsgesuch darzulegen, wann (an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit), in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Postbriefkasten oder Abgabe in einer bestimmten Postfiliale) und von welcher Person der Schriftsatz zur Post gegeben wurde. Diese Angaben sind ebenfalls durch geeignete Beweismittel glaubhaft zu machen. Dazu sind sowohl die Abgabe detaillierter eidesstattlicher Versicherungen der mit der Anfertigung und Absendung des Schriftsatzes unmittelbar befassten Personen als auch die Vorlage von Auszügen aus dem Fristenkontrollbuch und dem Postausgangsbuch erforderlich.

 

Normenkette

AO § 355 Abs. 1, § 357 Abs. 1, § 110 Abs. 1-2, § 91

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob der Beklagte (das Finanzamt) entgegen den Einspruchsentscheidungen vom 26.09.2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) wegen Versäumung der Einspruchsfrist hätte gewähren müssen und folglich die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für 2000 und 2001 niedriger festzustellen sind.

An der Klägerin sind Herr S. und Frau S. zu je 50 % beteiligt. Die Klägerin erzielt aus der Vermietung und Verpachtung von Squashanlagen in A. und M. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Mit Bescheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung 2000 und 2001 vom 17.06.2003 wurden die Einkünfte – wie erklärt – 2000 mit 154.953 DM und 2001 mit – 26.802 DM festgestellt. Die Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Vom 08.08.2005 bis 02.01.2006 fand bei der Klägerin mit Unterbrechungen eine Außenprüfung statt. Die Prüferin übersandte am 21.12.2005 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorab den Entwurf ihres Berichts. Am 23.12.2005 bzw. am 27.12.2007 telefonierte sie mit dem Gesellschafter der Klägerin bzw. mit deren Prozessbevollmächtigten. Danach war keine Einigung zu erzielen, so dass die Außenprüfung von der Prüferin ohne Schlussbesprechung abgeschlossen wurde.

In den aufgrund der Prüfungsfeststellungen ergangenen Änderungsbescheiden vom 11.01.2006 stellte das Finanzamt die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für 2000 mit 35.686 DM, für 2001 mit 60.706 DM fest und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.

Gegen diese Bescheide legte die Klägerin mit Fax ihrer jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 28.07.2006 – unter Hinweis auf ihr Einspruchsschreiben vom 23.01.2006 „nochmals” – Einspruch ein und beantragte vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Mit Schreiben vom 17.08.2006 versagte das Finanzamt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Dagegen legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 30.08.2006 Einsprüche ein. Sie habe das Schreiben des Finanzamts vom 24.05.2006 nicht erhalten; somit habe die Wiedereinsetzungsfrist erst am 28.07.2006 zu laufen begonnen. Bezüglich der eidesstattlichen Versicherungen teilte sie dem Finanzamt erstmals mit, dass Frau D., die den Einspruch gefertigt habe, Rücksprache mit Frau Sch. genommen habe, da sie sich nicht sicher gewesen sei, ob drei einzelne Einsprüche für die Jahre 1999 bis 2001 eingelegt werden müssten. Für die seit 20 Jahren als Steuerfachangestellte tätige Frau Sch. sei diese Frage so außergewöhnlich gewesen, dass sie sich – trotz des längeren Zeitraums – daran und an den Postversand erinnere.

Am 26.09.2006 verwarf das Finanzamt die Einsprüche als unzulässig.

Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Zur Begründung trägt sie vor, dass das Finanzamt durch eine Prüferin, die einen Telearbeitsplatz innehabe, im Zeitraum vom 08.08.2005 bis 02.01.2006 eine Außenprüfung bei ihr durchgeführt habe. Am 11.01.2006 seien schon die Feststellungsbescheide 2000 und 2001 ergangen. Mit ihrem Schreiben vom 20.01.2006 habe sie auf wesentliche Mängel im Prüfungsbericht hingewiesen.

Am 23.01.2006 habe sie Einspruch eingelegt, den das Finanzamt nach seinem Vortrag nicht erhalten habe. Dies könne auf mangelnder Organisation des Finanzamts beruhen...

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