Entscheidungsstichwort (Thema)
Nicht nach dem VwZG zu beurteilende, wirksame Bekanntgabe einer von der Außenprüferin persönlich in den Hausbriefkasten eingeworfenen Prüfungsanordnung. Prüfungsanordnung als Verwaltungsakt trotz des Zusatzes „Entwurf” und fehlender Angabe eines Prüfungsorts auf der Aktenausfertigung. bei Zweifeln an der Umsatzsteuerbefreiung von Lieferungen ins Ausland keine Verpflichtung zur vorrangigen Aufklärung durch Einzelermittlungsmaßnahmen
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird der Nichterhalt einer von der Prüferin persönlich in den Hausbriefkasten der Steuerpflichtigen eingeworfenen Prüfungsanordnung behauptet und sendet das Finanzamt dem Bevollmächtigten darauf eine Kopie der Aktenausfertigung zu, die den Zusatz „Entwurf”, keinen Prüfungsort sowie zum angegebenen Datum des Prüfungsbeginns ein Datum mit dem Zusatz „diesbezüglich bitte ich um Rückruf” enthält, so kann daraus nicht geschlossen werden, dass auch das Original den Zusatz „Entwurf” enthalten und dass es sich bei der Prüfungsanordnung zwingend nur um ein Provisorium ohne Verwaltungsaktcharakter gehandelt habe.
2. Eine Außenprüferin kann die Prüfungsanordnung durch persönlich vorgenommenen Einwurf in den Hausbriefkasten des Steuerpflichtigen wirksam bekanntgeben. Die Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes finden auf diese Form der Bekanntgabe eines Verwaltungsakts keine Anwendung (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil v. 15.4.2015, 1 K 23/13).
3. Wird ein Verwaltungsakt durch Einlegen in den Briefkasten bekannt gegeben, gilt die Vermutung des § 122 Abs. 2 AO nicht. Ein schriftlicher Verwaltungsakt ist vielmehr bekanntgegeben i. S. d. § 122 Abs. 1 AO, wenn er derart in den Machtbereich des Bekanntgabeadressaten gelangt ist, dass diesem die Kenntnisnahme normalerweise möglich war und von diesem auch erwartet werden konnte. Der Umstand, ob tatsächlich eine Kenntnisnahme des Verwaltungsakts durch die Steuerpflichtige erfolgt ist bzw. ob und ggf. aus welchem Gründen diese tatsächlich nicht erfolgt sein mag, lässt die wirksame Bekanntgabe des Verwaltungsaktes infolge seines Zugangs unberührt.
4. Ist anhand von Kontrollmaterial streitig, ob die Lieferung von drei Kranfahrzeugen ins Ausland umsatzsteuerfrei war, so unterliegt eine im Hinblick darauf ergangene Prüfungsanordnung nicht deswegen einem Verwertungsverbot, weil das FA nach Auffassung des Steuerpflichtigen die Prüfungsanordnung in ermessensfehlerhafter Weise nur zur Verhinderung des Eintritts der Festsetzungsverjährung und in unverhältnismäßiger Weise anstelle ausreichender Einzelermittlungsmaßnahmen erlassen habe.
Normenkette
UStG § 27b Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AO §§ 5, 118, 122 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 5, § 193 Abs. 1, §§ 196, 197 Abs. 1-2, § 198 S. 2, § 200; VwZG § 5 Abs. 2 S. 3; ZPO § 180; BGB § 133
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 20.12.2016; Aktenzeichen XI B 65/16) |
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung. Diese Prüfung ist Vorfrage für das unter dem Az. 3 K 814/14 ausgesetzte Verfahren, in dem es u.a. darum geht, ob die aufgrund der Prüfung erlassenen Änderungsbescheide wegen Eingreifens der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 AO rechtmäßig sind.
Die Klägerin betrieb bis zum 31.12. des Streitjahres 2008 ein unter der Bezeichnung „ABC” geführtes Unternehmen, das den Verkauf und die Vermietung von Baustellenausrüstungen und Containersystemen zum Gegenstand hatte (vgl. Gewerbeabmeldung vom 08.12.2008).
Auf Grundlage einer durch die Klägerin am 08.07.2009 eingereichten Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2008 setzte der Beklagte zunächst mit Bescheid vom 12.10.2009 eine Umsatzsteuer in Höhe von 458.129,72 EUR fest.
Ausweislich einer Kontrollmitteilung des Finanzamts Stuttgart vom 06.06.2013 (nebst Anlagen 1/1 bis 1/3) – lagen für eine im Streitjahr 2008 erfolgte Lieferung von drei Kranfahrzeugen an eine Firma namens „DEF” in der Schweiz die Voraussetzungen für (jeweils) eine steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung gemäß § 4 Nr. 1 Buchstabe b in Verbindung mit § 6a UStG nicht vor. Auch die Voraussetzungen für die Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 UStG lägen nicht vor, weil die den Lieferungen der Kranfahrzeuge zu Grunde liegenden Rechnungen und weiteren Nachweise unrichtige und widersprüchliche Angaben zu Bestimmungsort und Übergabe der Kranfahrzeuge enthielten:
Aus den der Mitteilung vom 06.06.2013 beigegebenen Einzelfeststellungen (Anlagen 1/1 bis 1/3) ergebe sich, dass die Klägerin durch die Angabe der österreichischen Umsatzsteueridentifikationsnummer ATU 1111111 in der Rechnung vom 04.02.2008 eine innergemeinschaftlichen Lieferung nach Österreich suggeriert habe. Zugleich werde durch den Lieferort „FAS Lübeck” vorgegeben, dass ein Kranfahrzeug von der Firma ABC nach Lübeck in einen Freihafen verbracht worden sei. Beide Angaben hätten sich als unzutreffend erwiesen. Ebenso sei mit Rechnungsstellung der Klägerin vom 05.02.2008 un...