Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerliche Behandlung von Zahlungen für nicht in Anspruch genommene Flugtickets, sog. unflown revenue. Abgrenzung von Leistungsaustausch und bloßer Entschädigungs- oder Schadenersatzleistung
Leitsatz (redaktionell)
1. Zahlungen, die ein Luftverkehrsunternehmen für nicht in Anspruch genommene Flugtickets, sog. unflown revenue erhält, unterliegen der Umsatzsteuer. Die wegen fehlender Möglichkeiten zum Rücktritt zu ermäßigten Preisen veräußerten Tickets beinhalten neben der Beförderung an einem bestimmten Tag und zu einer bestimmten Uhrzeit einen Anspruch auf die als gleichwertige Leistungselemente anzusehende Bereitstellung von Personal und Flugzeug sowie das Vorhalten eines Sitzplatzes bis 30 Minuten vor Abflug, so dass auch bei den verfallenen Flugtickets ein Leistungsaustausch anzunehmen ist.
2. Bei den erbrachten Leistungen handelt es sich um Leistungen besonderer Art i. S. d. § 3 Abs. 9 UStG, deren Ort der Leistung sich nach § 3a Abs. 1 UStG bestimmt und nicht um eine Beförderungsleistung im Sinne des § 3b Abs. 1 UStG, da die von der Klägerin angebotene Leistung sich nicht in der bloßen Beförderung der Kunden erschöpft hat. Danach sind die Leistungen an dem Ort ausgeführt, vom dem aus die Klägerin ihr Unternehmen betreibt.
Normenkette
UStG 1993/1999 § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; UStG 1993/1999 § 3 Abs. 9; UStG 1993/1999 § 3a Abs. 1; UStG 1993/1999 § 3b Abs. 1; EWGRL 388/77 Art. 2
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist die umsatzsteuerliche Behandlung von Zahlungen für Flugtickets, die von den Kunden der Klägerin nicht in Anspruch genommen worden sind (sog. „unflown revenue”).
Die Klägerin ist eine GmbH. Gegenstand ihres Unternehmens ist der Betrieb eines Lufttransportunternehmens.
Im Rahmen einer bei ihr hinsichtlich der Umsatzsteuer für 1996 bis 2000 durchgeführten Außenprüfung wurde folgender Sachverhalt festgestellt:
Die Klägerin bietet dem jeweiligen Kunden an, ihn an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit auf einer bestimmten Flugstrecke zu Sonderkonditionen zu befördern. Nachdem der Kunde diese Leistung per Internet oder im Reisebüro bestellt hat, erhält er ein Ticket und bezahlt den ermäßigten Flugpreis im Voraus. Nach den „Allgemeinen Beförderungsbedingungen” ist der Kunde weder zum Rücktritt noch zur kostenlosen Umbuchung berechtigt. Die Flugreservierung wird für den Kunden bis 30 Minuten vor dem Abflug freigehalten. Erscheint der Kunde bis zu diesem Zeitpunkt nicht, wird die Flugreservierung aufgehoben und bei ausreichender Kapazität, ggf. sein Sitzplatz an andere Fluggäste vergeben. Das Flugticket des Kunden verfällt in diesen Fällen ersatzlos, er erhält den Flugpreis nicht zurück. Auf den Internetrechnungen wird bei allen Inlandsflügen die Umsatzsteuer ausgewiesen; für die Auslandsflüge wurden keine Rechnungen mit Mehrwertsteuerausweis ausgestellt.
Der Prüfer vertrat die Auffassung, dass auch bei den nicht in Anspruch genommenen Tickets umsatzsteuerlich ein Leistungsaustausch vorliege. Er unterwarf daher die von der Klägerin bisher als nichtsteuerbaren Schadensersatz behandelten Einnahmen mit dem Regelsteuersatz der Umsatzsteuer.
Das Finanzamt schloss sich der Auffassung des Prüfers an und erließ am 14. Oktober 2004 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) bzw. nach § 164 Abs. 2 AO entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1996 bis 2000.
Auch in den nachfolgenden Jahren 2001 bis September 2004 hatte die Klägerin die nicht in Anspruch genommenen Tickets nicht umsatzversteuert. Nachdem die Klägerin auf entsprechende Anforderung seitens des Finanzamts die in diesem Zeitraum vereinnahmten Beträge mitgeteilt hatte, berücksichtigte das Finanzamt 2001 und 2002 in (geänderten) Bescheiden sowie in (geänderten) Vorauszahlungsbescheiden für Dezember 2003 bis September 2004 die erklärten „unflown revenue” und unterwarf sie in Höhe des Nettobetrages ebenfalls der Umsatzsteuer.
Die Klägerin legte gegen sämtliche Bescheide erfolglos Einsprüche ein. Das Finanzamt vertrat in seiner Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2005 weiterhin die Auffassung, dass der Kunde seine Zahlung für eine von der Klägerin erbrachte Leistung und nicht als Schadensersatz geleistet habe. So erbringe die Klägerin, die nicht nur die Beförderung als solche, sondern ein Leistungsbündel schulde, bereits im Vorfeld der eigentlichen Beförderung Leistungen wie z. B. Organisation, Reservierung sowie die Bereitstellung eines Sitzplatzes, die über eine reine Entgegennahme des Vertragsangebots als Ausdruck der Erfüllungsbereitschaft hinausgehe. Der Kunde, dem bewusst sei, dass er im Gegenzug zur verbilligten Überlassung des Flugtickets im Falle einer Nichtbeanspruchung den gezahlten Flugpreis nicht zurückerhalten könne, erhalte mit dem Ticket als umsatzsteuerlich relevanten Vorteil die Garantie, dass ihm zu günstigen Konditionen ...