Entscheidungsstichwort (Thema)
Erhöhte Mitwirkungspflicht bei der Darlegung der persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse im Rahmen eines Antrags auf Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen. Einwendungen gegen Haftungsbescheid im Erlassverfahren des Haftungsschuldners irrelevant
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Billigkeitserlass aus persönlichen Gründen setzt sowohl eine Erlassbedürftigkeit als auch eine Erlasswürdigkeit des Steuerschuldners voraus. Der Antragsteller eines Erlasses muss die Finanzbehörde dazu in die Lage versetzen, über den vollständigen Sachverhalt seiner Vermögensverhältnisse im Rahmen der Ermessensausübung entscheiden zu können.
2. Im Erlassverfahren besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen. Hier bedarf es insbesondere der Vorlage geeigneter Unterlagen zum Nachweis einer behaupteten Existenzbedrohung, denn die entscheidungserheblichen Tatsachen liegen regelmäßig im Wissen- und Einflussbereich des Antragstellers. Ein ehemaliger Geschäftsführer mehrerer Gesellschaften, der an zwei Gesellschaften beteiligt ist und über Grundbesitz verfügt, ist seiner erhöhten Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, wenn er vom FA zur Vorlage bestimmter Unterlagen (Liquiditätsstatus, Darlehensverträge, aktuelle Kontoauszüge und sonstige Unterlagen aufgefordert worden ist, jedoch lediglich eine Gehaltsabrechnung seines Arbeitgebers vorgelegt hat.
3. Wer infolge einer Steuerhinterziehung nach § 71 AO als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden ist, kann in einem Erlassverfahren wegen der Haftungsschulden nicht mehr mit Einwänden gehört werden, die er im Rechtsbehelfsverfahren gegen den dem Erlass zu Grunde liegenden Haftungsbescheid hätte geltend machen können.
Normenkette
AO §§ 227, 5, 88, 71, 166; FGO § 102
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist der Erlass von Haftungsschulden in Höhe von insgesamt 5.000.000 EUR.
Der Kläger ist nichtselbständig tätig. Er war in den Jahren 1999 bis 2001 einzelvertretungsbefugter Geschäftsführer der Speditionsfirmen B-, C- und D-GmbH. Diese Gesellschaften führten in dem vorgenannten Zeitraum für eine in Kufstein in Österreich ansässige Firma AGmbH den Transport von Kraftfahrzeugen durch. Bei der Firma A-GmbH fand ab Februar 2003 eine Steuerfahndungsprüfung statt, bei der u.a. festgestellt wurde, dass die Verbringung von Fahrzeugen nach Österreich auf Grund falscher Verbringungsdokumente – u.a. der vorgenannten Speditionen – nur vorgetäuscht war, um zu Unrecht steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen in das Inland geltend machen zu können. Unter anderem gegen die Geschäftsführer der Firma A-GmbH und gegen den Kläger wurden Steuerstrafverfahren eingeleitet; die Beitreibung der festgestellten Umsatzsteuernachzahlung in Höhe von insgesamt 10.000.000 EUR bei der Firma A-GmbH blieb erfolglos.
Das Finanzamt nahm daraufhin unter anderem den Kläger als Steuerhinterzieher mit Haftungsbescheid vom 18. April 2006 in Höhe von 5.000.000 EUR in Anspruch. Mit Schreiben vom 21. August 2006 forderte das hier beklagte Finanzamt München den Kläger zur Entrichtung des vorgenannten Haftungsbetrages zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe 200.000 EUR auf und kündigte zugleich die Vollstreckung an.
Mit Schreiben vom 28. November 2006 beantragte der Kläger beim FA unter Beifügung einer Gehaltsabrechnung der B-GmbH für den Monat Oktober 2006 den Erlass der Haftungsschulden aus dem Haftungsbescheid vom 18. April 2006. Als Begründung führte er an, dass er verheiratet sei und drei Kinder habe, von denen eines noch in Ausbildung sei. Er sei an zwei Gesellschaften beteiligt, die nach Angaben seiner Hausbank überschuldet seien; sein Wohnhaus sei deshalb für Kredite der Gesellschaften ausreichend belastet.
Mit Bescheid vom 29. November 2006 lehnte das FA den Erlassantrag ab und wies den Kläger darauf hin, dass ihm eine erhöhte Mitwirkungspflicht obliege, dem FA anhand geeigneter und detaillierter Unterlagen (z.B. Liquiditätsstatus, Darlehensverträge, aktueller Kontoauszüge usw.) eine mögliche Existenzbedrohung nachzuweisen. Solche Unterlagen seien nicht vorgelegt worden. Mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2006 teilte der Kläger mit, dass er seinen Erlassantrag aufrecht erhalte; weitere Nachweise seiner finanziellen Situation legte er nicht vor.
Mit Bescheid vom 11. Dezember 2006 lehnte das FA den Erlassantrag erneut ab. Das Schreiben des Klägers vom 15. Dezember 2006, in dem der Kläger die Aufrechterhaltung seines Erlassantrages mitteilte, wertete das FA als Einspruch gegen die Ablehnung des Erlasses der Haftungsschulden.
Mit auf den 24. Januar 2007 datierten Schreiben des FA wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass er bisher – mit Ausnahme einer Lohnabrechnung – keine Unterlagen über seine wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt habe, sodass eine Entscheidung schon mangels des Nachweises der Erlassbedürftigkeit nicht möglich sei. Darauf erfolgte keine weitere Reaktion des Klägers.
Mit Einspruchsentscheidung vom 30. April 2007...