Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen
Leitsatz (redaktionell)
Die Höhe der Säumniszuschläge begegnet jedenfalls für Veranlagungszeiträume bis einschließlich 2018 keinen erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit mit der Norm des § 240 AO auch Zinsvorteile des Steuerpflichtigen ausgeglichen werden sollen.
Normenkette
AO §§ 233a, 234-235, 237-238, 240, 3 Abs. 4 Nr. 5
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der in einem Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer des Monats August 2018.
Der Antragsgegner erließ am 10.03.2020 einen (geänderten) Abrechnungsbescheid, in dem er entstandene Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer August 2018 in Höhe von insgesamt 237,50 € auswies (angefallene Säumniszuschläge vom 11.10.2018 bis zum 10.11.2018 auf Umsatzsteuer betreffend August 2018). Die im Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Forderungen sind durch Aufrechnung vollständig erloschen.
Der Antragsteller wandte sich am 17.03.2020 mittels Einspruch gegen den geänderten Abrechnungsbescheid und begehrte die Aufhebung der Vollziehung des Abrechnungsbescheides, soweit darin Säumniszuschläge höher als 118,75 € ausgewiesen sind. Zur Begründung führte er aus, dass dem Säumniszuschlag von 1% ein Zinsanteil von 0,5%, also der Hälfte, innewohne und dass Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe dieses Zinsanteils bestünden.
Der Antragsgegner lehnte sowohl den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung mit Schreiben vom 24.03.2020 als auch den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 25.06.2020 ab.
Der Antragsteller hat am 21.07.2020 Klage unter dem Az. 12 K 2067/20 AO erhoben, über die der Senat noch nicht entschieden hat.
Mit Beschluss vom 29.05.2020 hat der Senat einen an das Gericht gestellten Antrag des Antragstellers auf Aufhebung der Vollziehung vom 24.03.2020 abgelehnt. Auf die Beschwerde des Antragstellers hin hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 26.05.2021 (Az.: VII B13/21 (AdV)) den Beschluss des Senats vom 29.05.2020 aufgehoben und die Vollziehung des Abrechnungsbescheides vom 10.03.2020 in Höhe der hälftigen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer für August 2018 bezogen auf den Zeitraum vom 11.10.2018 bis zum 10.11.2018 – mithin in Höhe von X € – rückwirkend ab Fälligkeit aufgehoben.
Zur Begründung hat der BFH unter anderem ausgeführt, dass nicht nur gegen die Höhe der in § 233a der Abgabenordnung (AO) und in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO normierten Zinssätze ab dem Jahr 2012 erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestünden, die eine Aussetzung nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geboten erscheinen lassen, sondern, dass auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO bestünden. Dies gelte jedenfalls insoweit, als den Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukomme, sondern die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, mithin also eine zinsähnliche Funktion. Ob und inwieweit der weitere Zweck, den Verwaltungsaufwand auszugleichen, hier ebenfalls zu berücksichtigen sei, sei bislang noch nicht entschieden.
Mit Schreiben vom 14.09.2021 beantragt der Antragsgegner eine Änderung des Beschlusses vom 26.05.2021 gemäß § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO. Zur Begründung führt er an, dass sich nach Ergehen des Aussetzungsbeschlusses am 26.05.2021 durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom 08.07.2021 (Az.: 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) neue Umstände im Sinne des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO ergeben hätten. In diesen Entscheidungen habe das BVerfG die die Vollverzinsung umfassenden Regelungen des § 233a AO i. V. m. § 238 AO lediglich für einen Verzinsungszeitraum ab dem 01.01.2019 für verfassungswidrig und unanwendbar erklärt. Die hier streitigen Säumniszuschläge beträfen aber Zeiträume vor dem 01.01.2019.
Der Antragsteller trägt vor, dass das Finanzgericht für den Änderungsantrag nicht zuständig sei (vgl. BFH-Beschluss vom 15.09.2010 I B 27/10, BStBl II 2010, 935). Allenfalls sei nach dem Geschäftsverteilungsplan des Finanzgerichts Münster der 5. Senat zuständig. Außerdem verstoße § 240 AO gegen den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. BFH, EuGH-Vorlage vom 08.06.2021- VII R 44/19, juris).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten 12 K 2067/20 AO und 12 V 901/20 AO und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Der zulässige Antrag auf Änderung des Beschlusses ist begründet.
Gemäß § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO entscheidet das Gericht der Hauptsache.
1. Der Senat ist als Gericht der Hauptsache für eine Entscheidung nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO zust...