Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Haltereigenschaft und Kraftfahrzeugsteuerpflicht im Erbfall bei Nachlasspflegschaft
Leitsatz (redaktionell)
1. Sind die Erben unbekannt oder ist die Erbenstellung noch nicht vollständig geklärt, so ist ein Nachlasspfleger zu bestellen.
2. Steueransprüche – hier auf Grund bestandskräftiger Kraftfahrzeugsteuer-Bescheide gegen die Erblasserin – sind im Falle der Nachlasspflegschaft gegen den Nachlasspfleger geltend zu machen.
3. Es besteht Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Rechtsfrage, wer Halter eines Fahrzeugs i.S. der verkehrsrechtlichen Zulassung ist, wenn der in der Zulassungsbescheinigung eingetragene Halter verstorben ist und mehrere Erben vorhanden sind. In Frage kommen insoweit die Erben als Gesamtrechtsnachfolger oder aber die ungeteilte Erbengemeinschaft als neue Halterin und Vereinigung i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 3 FZV.
4. Es erscheint ernstlich zweifelhaft, ob die Haltereigenschaft und Kraftfahrzeugsteuerpflicht bei einem Kraftfahrzeug über den Tod des Halters hinaus andauert, weil das Fahrzeug zwar nach wie vor formal für den Verkehr zugelassen ist, das Verkehrsrecht die Zulassung eines Fahrzeugs auf eine verstorbene Person aber nicht vorsieht.
5. Wenn die vermeintlichen Erben weder einen Erbschein noch ein Testament vorlegen können, haben sie keine Möglichkeit, die mögliche Kraftfahrzeugsteuerpflicht durch Ab- oder Ummeldung der betreffenden Fahrzeuge zu beenden.
6. Das Finanzamt muss im Hinblick darauf, dass Miterben Gesamtschuldner sind, bei Erlass der entsprechenden Leistungsgebote sein Auswahlermessen unter Angabe der maßgeblichen Zweckmäßigkeitserwägungen ausüben und die Umstände, die für und gegen die Inanspruchnahme des jeweiligen Gesamtschuldners sprechen, begründen.
7. Wenn es einem Halter objektiv nicht möglich ist, die Zulassung eines Fahrzeugs und damit die Steuerpflicht zu beenden, kommt insoweit der Erlass der Kraftfahrzeugsteuer oder eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen in Betracht.
Normenkette
AO §§ 44, 121 Abs. 1, § 163; KraftStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 4 S. 2; FZV § 6 Abs. 1 Nr. 3, § 14 Abs. 7 S. 1, § 15; AO § 5
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob mehrere an die Antragstellerin (Ast) gerichtete Leistungsgebote des Antragsgegners (Ag) von der Vollziehung auszusetzen sind.
Die Ast ist eine Enkeltochter der am xx.xx..2022 verstorbenen Frau S M (Erblasserin). Auf die Erblasserin waren die Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen XX X 001, XX X 002, XX X 003 und XX X 004 zugelassen. Die Kraftfahrzeugsteuer für diese Fahrzeuge wurde ursprünglich mit Steuerbescheiden des Finanzamtes O festgesetzt. Das Fahrzeug mit dem Kennzeichen XX X 003 wurde zum 21.06.2023 abgemeldet. Die übrigen Fahrzeuge wurden bisher nicht abgemeldet und sind noch auf die Erblasserin zugelassen.
Das Amtsgericht N ordnete mit Beschluss vom 10.08.2023 in der Nachlassangelegenheit der Erblasserin die Nachlasspflegschaft an und bestellte Herrn Rechtsanwalt N X aus E zum Nachlasspfleger. Der Beschluss erging unter dem Aktenzeichen des Amtsgericht N 00 VI 000/00. Als Beteiligter in dem Verfahren wird im Rubrum des Beschlusses Herr T M als „Erbe” aufgeführt. In den Gründen zum Beschluss führt das Amtsgericht N aus, dass die Erben unbekannt seien bzw. die Erbenstellung noch nicht vollständig geklärt sei.
Im Berufungsverfahren vor dem Landgericht B, Aktenzeichen I-0 X 00/21 (0 X 00/20Amtsgericht N), dem ein Rechtsstreit der Erblasserin zugrunde liegt, hat das Landgericht in seinem gerichtlichen Hinweis vom 01.03.2024 (im Rubrum „Beschluss”) ausgeführt, dass bei einem Passivprozess – wie im dort vorliegenden Streitfall – die unbekannten Erben, vertreten durch den Nachlasspfleger, passiv legitimiert seien. Der in der 1. Instanz im Wege der Klageerhebung gegen die Erblasserin begonnene Prozess werde im Berufungsverfahren nunmehr gegen deren unbekannte Erben, vertreten durch den Nachlasspfleger, aufgenommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den „Beschluss” des Landgerichts B vom 01.03.2024 Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 12.03.2024 teilte der Nachlasspfleger dem Ag auf dessen Anfrage mit, dass die Ast sowie die weitere Enkeltochter Frau U M beim Amtsgericht N einen Erbschein beantragt hätten. Weiter habe der Nachlasspfleger das Schreiben des Ag zum Anlass genommen, den Verbleib und die Nutzer der Fahrzeuge zu ermitteln.
Mit Leistungsgeboten vom 14.03.2024 forderte der Ag die Ast auf, die für die oben genannten Fahrzeuge festgesetzte Kraftfahrzeugsteuer nebst Säumniszuschlägen für die Entrichtungszeiträume ab dem 21.01.2022 zu bezahlen. Die Forderungen belaufen sich nach Aktenlage in der Summe auf 2.149,50 €. Zur Begründung führte der Ag jeweils aus, das Leistungsgebot ergehe an die Ast als Gesamtrechtsnachfolgerin gemäß § 45 Abgabenordnung (AO) der verstorbenen Frau S M. Wegen der im Bescheid angegebenen – fälligen – Geldforderungen in Höhe von … habe der Ag (Sachgebiet Vollstreckung) gegen die Ast die Vollstreckung durchzuführen. Es folgt im Bescheid jeweils die Berechnung ...