rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 2000 - Vorlagebeschluss des BFH vom 16.07.2002 - IX R 62/99 (BStBl. II 2003, 74) wegen möglicher Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b EStG 1997
Leitsatz (redaktionell)
1) Es ist ernstlich zweifelhaft i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 2000 - ebenso wie § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b EStG 1997 - wegen struktureller Vollzugshindernisse mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
2) Wird die Durchsetzung des Steueranspruchs bereits wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt, kann im Rahmen der Interessenabwägung nicht angenommen werden, das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung sei ausnahmsweise höher zu bewerten als das Interesse des Antragstellers an der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (a.A. FG Düsseldorf, Beschl. v. 13.12.2002 - 18 V 2497/02 A, EFG 2003, 557).
Normenkette
EStG § 23 Abs. 1 Sätze 1, 1 Nr. 2; FGO § 69; BVerfGG § 35; EStG 2000 § 23 Abs. 1
Tatbestand
I
Zu entscheiden ist, ob die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2000 ohne Sicherheitsleistung auszusetzen ist. In der Hauptsache ist streitig, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) in der für das Streitjahr 2000 geltenden Fassung verfassungswidrig ist.
Der Antragsteller (ASt.) wurde im Streitjahr 2000 zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Er bezog im Veranlagungszeitraum 2000 – neben Einkünften aus selbständiger Arbeit, aus nichtselbständiger Arbeit für den Zeitraum vom 01. bis 30.06.2000 als Vorstand der U-AG (im Folgenden: U-AG), aus Kapitalvermögen (der ASt. war zugleich Gründungsgesellschafter der U-AG und an deren Grundkapital mit 254.340 Stück beteiligt) und aus Vermietung und Verpachtung – Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in Höhe von 366.894,00 DM. Der Kl. hatte im Streitjahr aus der Veräußerung von Wertpapieren, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr betrug, Einkünfte in Höhe von (334.789,85 DM + 32.104,75 DM =) 366.894,60 DM erzielt; wegen der Ermittlung der Einkünfte im Einzelnen wird auf die Zusammenstellungen des ASt. vom 09.04. und 10.05.2002 Bezug genommen. Der Antragsgegner (Ag.) legte diese Einkünfte, der gemeinsamen ESt-Erklärung des ASt. und seiner Ehefrau folgend, der ESt-Veranlagung zugrunde und setzte durch ESt-Bescheid vom 10.06.2002 die ESt nach einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von 616.682,00 DM mit 139.754,99 EUR (= 273.337,00 DM), die Zinsen zur ESt mit 895,00 EUR (= 1.750,47 DM) und den Solidaritätszuschlag (SolZ) mit 7.684,92 EUR (= 15.030,40 DM) fest; dies führte zu einer Abschlusszahlung von insgesamt 95.386,62 EUR. Durch nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderten ESt-Bescheid vom 13.11.2002 wurde die ESt nach einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von 699.943,00 DM festgesetzt; dies führte zu einer Abschlusszahlung von insgesamt 99.164,62 EUR.
Gegen den ESt-Bescheid vom 10.06.2002 haben der ASt. und seine Ehefrau am 02.07.2002 Einspruch eingelegt; sie vertreten unter Bezugnahme auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs vom 16.07.2002 IX R 62/99 (BStBl II 2003, 74) die Ansicht, die Erfassung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sei verfassungswidrig. Über den Einspruch hat der Ag. bisher nicht entschieden; mit Schreiben vom 09.09.2002 hat er dem ASt. mitgeteilt, wegen dieses Musterprozesses ruhe das Einspruchsverfahren von Gesetzes wegen (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO).
Zugleich mit der Einlegung des Einspruchs haben der ASt. und seine Ehefrau beim Ag. beantragt, die Vollziehung des ESt-Bescheides vom 10.06.2002 bis zur Entscheidung über den Einspruch in Höhe der Abschlusszahlungen von insgesamt 95.386,62 EUR (89.565,05 EUR ESt, 895,00 EUR Zinsen zur ESt und 4.926,57 EUR SolZ) auszusetzen. Die Abschlusszahlungen entfielen ausschließlich auf den Ansatz der erklärten Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften.
Mit Bescheid vom 11.07.2002 setzte der Ag. die Vollziehung des ESt-Bescheides vom 10.06.2002 in dem beantragten Umfang ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch aus, dies jedoch unter der aufschiebenden Bedingung, dass Sicherheit in Höhe von 95.000 EUR geleistet wird. Er hielt eine Sicherheitsleistung deshalb für erforderlich, weil der Steueranspruch gefährdet erscheine. Der ASt. habe zum 15.01.2001 seine bisherige freiberufliche Tätigkeit aufgegeben und sei seither nur noch nichtselbständig tätig; die ausgesetzte Summe könne daher durch die laufenden Einkünfte nicht gedeckt werden. Darüber hinaus habe der ASt. nach dem Akteninhalt bei der Bank D einen Avalkredit über 1 Millionen DM (Höchstbetrag) aufgenommen; bis zur Höhe dieses Betrages sollte die Bank D gegenüber der Bank Q für eine der U-AG eingeräumte Kontokorrent...