Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweisvereitelung eines Vaterschaftsnachweises und Pflegekindschaftsverhältnis
Leitsatz (redaktionell)
1) Aus § 90 Abs. 2 AO folgt die Pflicht des Kindergeldprätendenten, im Rahmen seiner rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären, Beweismittel zu beschaffen und ggf. Beweisvorsorge zu treffen.
2) Die Verletzung der Mitwirkungspflichtverletzung durch den Kindergeldprätendenten kann dazu führen, dass aus seinem Verhalten nachteilige Schlüsse gezogen werden. Dies gilt insbesondere für einen sog. "Beweisvereitler", der seine Kinder zur Vereitlung eines DNA-Tests nach Kamerun bringt.
3) Kann ein Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt werden, weil der Kindergeldberechtigte seine Mitwirkungspflicht verletzt hat, so führt dies nicht zu einer Entscheidung nach den Regeln der Feststellungslast, sondern zu einer Begrenzung der Sachaufklärungspflicht und zu einer Minderung des Beweismaßes.
4) Bei einem schulpflichtigen Kind kann regelmäßig erst dann von einem nicht mehr bestehenden Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern ausgegangen werden, wenn rein tatsächlich über einen längeren Zeitraum von in der Regel zwei Jahren keinerlei Kontakte mehr zu den leiblichen Eltern bestanden haben.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AO § 90 Abs. 2, § 37 Abs. 2; ZPO § 444; EStG § 32 Abs. 1
Tatbestand
Der Kl. besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Er hatte die in der Republik Kamerun (Kamerun) geborenen Kinder M und B im September 2003 in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) geholt, für beide Kinder Kindergeld beantragt und aufgrund des Bescheides der Beklagten (Bekl.) vom 23.10.2003 ab September 2003 bewilligt und ausgezahlt erhalten.
Nach den Angaben im Kindergeldantrag vom 08.10.2003 waren beide Kinder am 16.10.1990 geboren worden. Bis zu deren Abreise aus Kamerun hatten beide Kinder bei ihrer Kindesmutter, Frau T, gelebt. Die Kindesmutter war bei Ausreise der Kinder in Kamerun verblieben.
Ende März 2004 hatte die getrennt lebende deutsche Ehefrau des Kl. gegenüber der Bekl. die Vermutung geäußert, dass es sich bei den beiden Kindern nicht um leibliche Kinder des Kl. handele. Hierzu hatte sie eine Bescheinigung einer kamerunischen Behörde vom 09.02.2000 (Bl. 10 f. der Kindergeldakte – Kg-A. –) vorgelegt, wonach der Kl. ledig sei und keine Kinder zu versorgen habe. Das Ordnungsamt der Stadt D, Abteilung für Ausländer- und Staatsangehörigkeitsangelegenheiten (nachfolgend: Ordnungsamt D), hatte der Bekl. danach auf deren Anfrage mit Schreiben vom 28.06.2004 mitgeteilt, dass der Kl. im Rahmen seines Einbürgerungsverfahrens nicht erklärt habe, Kinder in Kamerun zu haben. Zudem lägen – so die Mitteilung des Ordnungsamtes der Stadt D – Erklärungen zweier Bekannter des Kl. vor, wonach es sich bei den Kindern um Schwestern oder um Cousinen des Kl. handele. Die Kinder seien offensichtlich erheblich älter als dies nach den Angaben des Kl. zum Geburtsjahr der Kinder im Kindergeldantrag der Fall sein könne.
Aufgrund der vorgenannten Erkenntnisse hatte die Bekl. die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 01.07.2004 ab Juli 2004 aufgehoben. Dagegen hatte der Kl. nach erfolglosem Einspruchsverfahren geklagt. Die Klage wurde vom Finanzgericht Münster mit Urteil vom 24.04.2006, Az. 10 K 4472/04 Kg, abgewiesen, da der Kl. seine Vaterschaft nicht zur Überzeugung des Finanzgerichts Münster durch einen sog. DNA-Test hatte nachweisen können.
Mit Bescheid vom 28.09.2004 hatte das Ordnungsamt D die dem Kind M am 18.09.2003 erteilte und bis zum 16.10.2006 befristete Aufenthaltserlaubnis widerrufen und die Abschiebung des Kindes angedroht, falls es das Bundesgebiet nicht bis spätestens zum 05.11.2004 verlassen habe. Die sofortige Vollziehung des Bescheids war nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet worden. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wegen Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (§ 80 Abs. 5 VwGO) gegen den vorgenannten Bescheid hatte sich das Ordnungsamt D auf Vorschlag des Verwaltungsgerichtes D verpflichtet, gegen das Kind M nicht vorzugehen. Im Gegenzug wurden dem Ordnungsamt die Geburtsurkunde und der Reisepass des Kindes M zur Überprüfung überlassen.
In einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen den Kl. wegen eines Vergehens nach § 92 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG) hatte das Amtsgericht D (Az. 80 Gs 2093/04) mit Beschluss vom 04.01.2005 (Bl. 83 GA) nach § 81a Strafprozessordnung (StPO) die Entnahme einer Blutprobe beim Kl. und den beiden Kindern M und B zur Feststellung der Vaterschaft des Kl. für den Fall angeordnet, dass der Kl. und die Kinder sich mit der Abgabe einer Speichelprobe nicht einverstanden erklären sollten. Daraufhin brachte der Kl. die Kinder – nach seinem eigenen Vortrag im Verfahren zum Az. 10 K 4472/04 Kg – auf „illegalem Weg” nach Kamerun, um sie einer Blut- oder Speichelentnahme zu entziehen.
Mit Bescheid vom 11.08.2006 hob die Bekl. nachfolgend auch die Kindergeldfes...