Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung
Leitsatz (redaktionell)
1) § 3 Abs. 1 AnfG verlangt positive Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners; bloße Vermutungen oder eine grob fahrlässige Unkenntnis reichen nicht aus.
2) Die Nutzung eines Kontos des Anfechtungsgegners für Ausgangsrechnungen rechtfertigt allein noch nicht den Schluss auf eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht oder auf die (drohende) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners.
Normenkette
AnfG § 3; AO § 191
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Duldungsbescheides.
Der Vater (V) der am xx.xx.1983 geborenen Klägerin schuldete dem Land Nordrhein-Westfalen Steuern und steuerliche Nebenleistungen i. H. v. insgesamt 36.446,08 EUR (Stand 29.06.2009). Am 01.03.2005, 31.01.2006 und 04.03.2009 gab V eidesstattliche Versicherungen ab.
Der Beklagte versucht seit mehreren Jahren, die offenen Steuern im Vollstreckungswege bei V einzuziehen. U. a. hatte der Beklagte am 24.05.2006 bei V einen PKW Renault Clio gepfändet, der – so das Vorbringen des V – im Eigentum der Klägerin gestanden haben soll. Während V gegenüber dem Vollstreckungsbeamten erklärt hat, es handele sich bei dem Wagen um ein Geschenk an seine Tochter, gab deren Mutter gegenüber dem Beklagten an, dass ihre Tochter den PKW gekauft habe und ihr lediglich der hierfür benötigte Kaufpreis geschenkt worden sei. Zum Nachweis wurde ein auf den 01.12.2005 datierter Kaufvertrag zwischen der Klägerin und einer Frau S G vorgelegt, der – so die Einlassung der Mutter der Klägerin – nachträglich erstellt worden ist.
V, der gewerblich tätig war, gab in seinen Ausgangsrechnungen während des Zeitraums Ende 2007 bis Juni 2008 das Konto 000 000 001 bei der Bank P als Geschäftskonto an. Inhaberin dieses Kontos war die Klägerin.
Der Beklagte hörte die Klägerin zu dem o. g. Vorgang und dem eventuellen Erlass eines Duldungsbescheids mit Schreiben vom 01.04.2009 an. Die Klägerin erwiderte, dass ihr nicht bekannt gewesen sei, dass ihr Vater Steuerschulden habe und zahlungsunfähig sei. Sie habe ihrem Vater ihre Bankverbindung lediglich deshalb zur Verfügung gestellt, weil V sie darum gebeten habe. Ihr sei von ihrem Vater erklärt worden, er habe seine Bankverbindung gekündigt und wolle demnächst bei einer anderen Bank ein Konto eröffnen. Bis zur Eröffnung des neuen Kontos würde noch einige Zeit vergehen. Bis dahin benötige er aber eine weitere Bankverbindung, da sein Arbeitgeber ihm Geld überweisen wolle. Er habe deshalb sie – die Klägerin – gebeten, ihm kurzfristig ihre Bankverbindung zur Verfügung zu stellen. Daraufhin habe sie ihrem Vater ihre einzige EC-Karte und die Pin-Nummer ausgehändigt. Ihr Vater habe das Konto sodann für eigene Zwecke genutzt und über sämtliche von ihm eingezahlten Beträge auch selbst verfügt. Sie – die Klägerin – sei durch die Überweisungen in keiner Form bereichert worden.
Am 29.06.2009 erließ der Beklagte den streitgegenständlichen Duldungsbescheid, mit dem er die einzelnen Zahlungen, die für V auf dem o. g. Konto in dem Zeitraum 28.12.2007 bis 09.07.2008 eingegangen waren und sich in der Summe auf 22.111,76 EUR beliefen, unter Berufung auf §§ 3 Abs. 1, 4 AnfG anfechtete. In dem Bescheid sind die Steuerschulden des V nach Veranlagungszeitraum, Steuerart und Höhe im Einzelnen aufgeführt. Auch die angefochtenen Einzahlungen waren mit Eingangsdatum, Rechnungsdatum, Betrag und Namen des Kunden einzeln aufgelistet.
Der Beklagte begründete den Anfechtungsanspruch wie folgt:
Die Gläubigerbenachteiligung liege darin, dass der Finanzbehörde durch die Einzahlungen auf das Konto der Klägerin der Vollstreckungszugriff auf diese Geldbeträge entzogen worden sei. In der von der Kontoinhaberin akzeptierten Gutschrift liege zugleich eine ohne Gegenleistung erfolgte Mehrung des Vermögens der Klägerin, die mit dem Auszahlungsanspruch gegen die Bank P einen der Vollstreckung zugänglichen Vorteil erlangt habe. Auf diesen Vorteil habe sie keinen Anspruch, so dass eine inkongruente Deckung im Sinne der anfechtungsrechtlichen Vorschriften vorliege.
Als Kontoinhaberin sei die Klägerin über die entsprechenden Gutschriften auf ihrem Konto informiert gewesen. Auch könne ihr die wirtschaftliche Situation ihres Vaters nicht verborgen geblieben sein, zumal seit etlichen Jahren Vollstreckungsmaßnahmen gegen V erfolgt seien. Die Überlassung eines eigenen Kontos ergebe nur dann Sinn, wenn die Klägerin ihrem Vater habe „helfen” wollen, weil dieser entweder kein Konto mehr eröffnen konnte oder auf jeden Fall seine Geldeingänge dem Gläubigerzugriff entziehen wollte. Es erscheine zweifelhaft, dass die Zurverfügungstellung des Kontos nur für den Zeitraum zwischen Kündigung und Eröffnung eines neuen Kontos habe erfolgen sollen, da im Normalfall der Wechsel zu einem anderen Kreditinstitut innerhalb weniger Tage erfolge, hier V das Konto der Klägerin jedoch für mehrere Monate genutzt habe.
Zudem würden hinsichtlich der Geldeingänge auch die Voraussetzungen für eine Anfe...