Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausbildung eines Rettungssanitäters zum Notfallsanitäter als einheitliche Ausbildung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Ausbildung eines noch nicht 25 Jahre alten Kindes, das zuvor die Realschule und Höhere Handelsschule besucht hatte, zum Rettungssanitäter und die angestrebte Ausbildung zum Notfallsanitäter bilden eine Einheit, wenn sich das Kind bereits während der Ausbildung zum Rettungssanitäter und im unmittelbaren Anschluss an diese Ausbildung ernsthaft um die weitergehende Ausbildung zum Notfallsanitäter bemüht hat.
2. Dem steht es nicht entgegen, wenn das Kind vor der Aufnahme der Ausbildung zum Notfallsanitäter einer Vollzeittätigkeit in seinem Ausbildungsberuf als Rettungssanitäter nachgegangen ist, solange plausibel ist, dass das Kind seine Erwerbstätigkeit mit dem Beginn des weitergehenden Ausbildungsabschnitts beenden wird.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c, Sätze 2-3; SGB IV §§ 8, 8a; EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b
Tatbestand
Streitig ist, ob der Klägerin ein Anspruch auf Kindergeld für ihren Sohn S. Kl. (geb. am xx.xx.2002) ab Februar 2022 zusteht.
S. erwarb nach dem Besuch der Realschule den mittleren Schulabschluss (Fachoberschulreife) und nach dem anschließenden Besuch der Höheren Handelsschule die Fachhochschulreife (Bl. 168 ff. der Gerichtsakte). Nach dem Abschluss der Schulausbildung absolvierte er von August 2020 bis Juli 2021 den Bundesfreiwilligendienst (Bl. 24 ff., 44 und 76 der Kindergeldakte).
Nachdem die Klägerin eine Bescheinigung der Agentur für Arbeit H-Stadt vom 30.06.2021, nach welcher S. dort seit dem 03.05.2021 bis auf weiteres als ausbildungssuchend geführt wird (Bl. 57 der Kindergeldakte), vorgelegt hatte, setzte die Beklagte Kindergeld ab August 2021 fest (Bescheid vom 16.07.2021, Bl. 65 der Kindergeldakte).
Vom 18.10.2021 bis 21.01.2022 absolvierte S. eine Ausbildung zum Rettungssanitäter bei dem Kreis T-Stadt (Bl. 111 ff. der Kindergeldakte). Nach dem Ausbildungsvertrag vom 14.09.2021 gliederte sich die Ausbildung wie folgt (Bl. 111 der Kindergeldakte):
18.10.2021–12.11.2021 |
Einführungslehrgang |
15.11.2021–10.12.2021 |
Praktikum im Krankenhaus |
13.12.2021–14.01.2022 |
Praktikum in der Rettungswache |
17.01.2022–21.01.2022 |
Prüfungswoche am Studieninstitut |
Nach § 2 des Ausbildungsvertrages bestimmt sich das Ausbildungsverhältnis nach den Vorschriften der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitäter sowie Rettungshelferinnen und Rettungshelfer des Landes Nordrhein-Westfalen vom 24.11.1992 in seiner jeweiligen Fassung. S. stand ein Taschengeld in Höhe von monatlich 250 EUR zu (§ 4 des Ausbildungsvertrages).
Am xx.01.2022 bestand S. die Prüfung für Rettungssanitäter vor dem staatlichen Prüfungsausschuss an der Rettungsdienstschule am Studieninstitut mit der Gesamtnote xxx (Prüfungszeugnis vom xx.01.2022, Bl. 58 der Gerichtsakte).
Ab dem xx.01.2022 nahm er bei dem Kreis T-Stadt eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung als Rettungssanitäter nach der Entgeltgruppe 4 TVöD-V mit einem monatlichen Bruttolohn von 2.413 EUR auf (Bl. 114 der Kindergeldakte, Bl. 59 ff. der Gerichtsakte).
Ab Dezember 2021 bewarb sich S. bei mehreren Ausbildungsbetrieben im gesamten Bundesgebiet für eine Ausbildung zum Notfallsanitäter (Bl. 25 ff. der Gerichtsakte). Die Bewerbungen blieben bisher ohne Erfolg (vgl. Absageschreiben aus den Monaten Januar 2022, Februar 2022, April 2022, Juni 2022, Juli 2022, September 2022, vgl. Bl. 27 ff. und Bl. 161 ff. der Gerichtsakte). Einige Ausbildungsbetriebe begründeten ihre Absage mit der großen Bewerberanzahl (z.B. 350 bzw. 430 Bewerbungen, Bl. 30 und 164 der Gerichtsakte). Teilweise wiesen die Betriebe darauf hin, dass S. den Fitnesstest nicht bestanden habe (E-Mails vom 26.09.2022, Bl. 161). Teilweise nahm S. nach bestandenem „Sport- und Kurztest” an einem Vorstellungsgespräch teil (Bl. 38 der Gerichtsakte). Zuletzt wurde er von der Stadt H-Stadt zu einem Auswahlverfahren am 19.10.2022 eingeladen (E-Mail vom 04.10.2022, Bl. 176 der Gerichtsakte).
Die Beklagte hob die Kindergeldfestsetzung ab Februar 2022 auf (Aufhebungsbescheid vom 04.01.2022).
Im Einspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, dass es sich bei der Ausbildung zum Rettungssanitäter nicht um einen anerkannten Ausbildungsberuf, sondern lediglich um eine Qualifizierung/Weiterbildung im Rahmen eines dreimonatigen Lehrgangs handele. Ihr Sohn strebe eine Ausbildung zum Notfallsanitäter an. Ab dem 22.01.2022 gehe er einer Erwerbstätigkeit mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden nach (Bl. 107 f. der Kindergeldakte).
Die Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück und führte an, dass die Ausbildung zum Rettungssanitäter als erstmalige Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes – EStG – anzusehen sei. Nichts anderes ergebe sich aus der angestrebten Ausbildung zum Notfallsanitäter. Zwar liege insofern ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschni...