Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die schlüssige Begründung einer Schätzung des Finanzamts im summarischen Verfahren
Leitsatz (redaktionell)
Bei einer Schätzung gemäß § 162 AO muss das Finanzamt auch im summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes ausreichende Belege vorlegen, die Zweifel an einer Schätzungsbefugnis des Finanzamts ausräumen und zudem seine Schätzung der Höhe nach durch die Offenlegung einer nachvollziehbaren Kalkulation substantiieren. Dafür müssen sowohl die verwendeten Ausgangszahlen (in der Regel die Buchungskonten), als auch der Kalkulationsweg nachvollziehbar dargestellt werden, damit das Finanzgericht in die Lage versetzt wird, seine eigene Schätzungsbefugnis auszuüben.
Normenkette
AO § 162; FGO § 69 Abs. 2-3
Tatbestand
I.
Streitig sind Zuschätzungen nach einer Betriebsprüfung.
Der Antragsteller betrieb in den Streitjahren (und betreibt bis heute) u.a. eine Kaffeebar nach italienischem Vorbild in der Innenstadt.
Der Antragsteller wohnt derzeit - entgegen seiner eigenen Angabe in der Klageschrift - ausweislich der Meldedaten der Stadt an der Adresse Str. 1, 1; die in der Antragsschrift angegebene Adresse ist die des Cafés.
Mit Änderungsbescheiden vom 14.06.2017 änderte das Finanzamt die Umsatzsteuerfestsetzungen der Streitjahre (Steuernummer xxx/xxx/xxxxx) zu Lasten des Antragstellers (2010 +7.136,38 €, 2011 +12.102,56 €, 2012 +13.535,14 €, 2013 +6.335,07 €, 2014 +11.153,33 €). Die Änderungen beruhen auf einer Außenprüfung; die angesetzten Werte entsprechen den Werten laut dem Betriebsprüfungsbericht vom 17.05.2017.
Der Betriebsprüfungsbericht vom 17.05.2017 führt nach umfangreichen allgemeinen Ausführungen zu den rechtlichen Anforderungen an Buchführung und Aufzeichnungen von Steuerpflichtigen als tatsächliche Feststellungen zum Unternehmen des Antragsteller nur auf, dass der Antragsteller seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz ermittle und anscheinend geführte "Strichlisten" nicht alle Geschäftsvorfälle (wohl insb. außer-Haus-Verkäufe) erfassten. Im Bericht werden die Ergebnisse einer Getränkekalkulation für 2013 und 2014 verwendet, um Rohgewinnaufschläge zu ermitteln (2013: 311% und 2014: 310%), die anschließend auf die früheren Jahre übertragen werden (310%). In diese Rohaufschläge finden auch kalkulierte Erlöse für "Ciabatta" und "Gebäck" Eingang. Für diese findet sich eine einfache Kalkulation im Bericht, die anscheinend auf dem gebuchten Wareneinkauf ansetzt und mit einem Aufschlag von 80% operiert. Ausweislich des Berichts habe sich dieser Aufschlag aus "den Einkaufspreisen lt. Rechnung und den Verkaufspreisen lt." dem Antragsteller ergeben.
Der Bericht verweist anschließend auf eine Kalkulation des Antragstellers vom 02.05.2017, die nicht herangezogen werden könne. Dennoch sei glaubhaft gemacht worden, dass Gratisgetränke, Bruch etc. in der Kalkulation der Betriebsprüfung nicht ausreichend berücksichtigt worden seien und deswegen der Rohgewinnaufschlag auf 257 % reduziert werde. Dadurch würden "sämtliche Gratisgetränke, Anpassungen des Mahlgrades der Kaffeemaschine, Bruch etc. berücksichtigt".
Der Antragsteller hat fristgerecht Einspruch erhoben, über den noch nicht entschieden worden ist. Den mit dem Einspruch gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung dieser Bescheide hat das Finanzamt unter Verweis auf ein Schreiben des Finanzamts vom 05.09.2017 abgelehnt. Das Schreiben vom 05.09.2017 besteht neben Standardtextblöcken nur aus der per "Kopieren und Einfügen" übernommene Stellungnahme des Betriebsprüfers vom 28.08.2017. Aus diesem Schreiben ergibt sich, dass der Antragsteller wohl bereits mit Schreiben vom 27.02.2017 zu den Punkten der Betriebsprüfung Stellung genommen und dabei eine eigene - von der späteren eigenen deutlich abweichende - Kalkulation vorgelegt hat. Die dieser Kalkulation zugrundeliegenden vom Antragsteller "rekonstruierten Preise" der Jahre 2013 und 2014 hat die Betriebsprüfung daraufhin übernommen.
Am 05.10.2017 hat der Antragsteller 40.906,41 € unter Angabe seiner Steuernummer und den Worten "unter Vorbehalt" überwiesen. Er hat dazu am 09.10.2017 dem Finanzamt mitgeteilt, dass er diesen Betrag nur aus einer kürzlich erhaltenen Erbschaft habe aufbringen können und angesichts der Steuerforderungen seinen Betrieb sonst "liquidieren" müsse.
Ausweislich der in den vorgelegten Akten befindlichen Abfragen der offenen Steuerverbindlichkeiten ("O-Abfragen) zum 12.09.2017 und zum 11.10.2017 ist dieser Betrag auf die streitige Umsatzsteuer verbucht worden; offen sind danach zum 11.10.2017 unter dieser Steuernummer nur noch neben Umsatzsteuer 2014 in Höhe von 9.356,17 € Nebenleistungen zur Umsatzsteuer sowie in geringem Umfang Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer zur Lohnsteuer.
Am 13.12.2017 hat der Antragsteller bei Gericht beantragt, die Änderungsbescheide vom 14.06.2017 (u.a.) über Umsatzsteuer der Jahre 2010 bis 2014 in vollem Umfang von der Vollziehung "auszusetzen".
Er begründet dies im Wesentlichen damit, dass die besondere...