Entscheidungsstichwort (Thema)
Die Anwendung des § 10d Abs. 2 EStG (Mindestbesteuerung) ist ernstlich zweifelhaft, wenn eine Verlustverrechnung in späteren Veranlagungszeiträumen nicht mehr möglich ist
Leitsatz (amtlich)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die Mindestbesteuerung gemäß § 8 KStG i.V.m. § 10d Abs. 2 EStG anzuwenden ist, wenn eine Verlustverrechnung in späteren Veranlagungszeiträumen aus rechtlichen Gründen (z.B. § 8c KStG, § 12 Abs. 3 UmwStG) ausgeschlossen ist.
Normenkette
KStG § 8c; EStG § 10d Abs. 2; FGO § 69; UmwStG § 12 Abs. 3
Nachgehend
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob das Finanzamt § 8 KStG i.V.m. § 10 d Abs. 2 EStG (Mindestbesteuerung), dessen Verfassungswidrigkeit von der Antragstellerin behauptet wird, anwenden durfte.
Die Antragstellerin ist Gesamtrechtsnachfolgerin der B GmbH, für die zum 31.12.2006 ein Verlustvortrag in Höhe von 35.303.643 € festgestellt worden war. Der Gesamtbetrag der Einkünfte für 2007 betrug 4.361.627 €.
Nach Anwendung des § 8 KStG i.V.m. § 10 d Abs. 2 EStG (Mindestbesteuerung) versagte das Finanzamt den Verlustabzug zum Teil und setzte am 13.07.2009 die Körperschaftsteuer für 2007 in Höhe von 331.273 € gegenüber der Antragstellerin als Rechtsnachfolgerin der B GmbH fest.
Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin am 05.08.2009 Einspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV).
Am 01.09.2009 lehnte das Finanzamt den AdV-Antrag ab. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestünden nicht und die Vollziehung habe keine unbillige Härte zur Folge.
Die Antragstellerin hat daraufhin am 10.09.2009 im gerichtlichen AdV-Verfahren die Aussetzung der Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheides 2007 beantragt.
Unter Bezugnahme auf ihre Einspruchsbegründung hat sie ausgeführt, die Mindestbesteuerung sei in den Fällen verfassungswidrig, in denen sie nicht nur zu einer zeitlichen Streckung der Nutzung der Verlustvorträge führe, sondern wegen des späteren Wegfalls der Verluste eine definitive Kappung der Verlustvorträge nach sich ziehe.
Eine solche Konstellation habe im Streitjahr bei der Antragstellerin vorgelegen:
- Für den Veranlagungszeitraum 2007 komme es nur wegen der Anwendung der Mindestbesteuerung zu der Steuerfestsetzung in Höhe von 319.983 €, da andernfalls der positive Gesamtbetrag der Einkünfte des Jahres 2007 mit dem zum 31.12.2006 bestehenden Verlustvortrag in voller Höhe hätte verrechnet werden können.
- Der wegen der Mindestbesteuerung nicht im Jahr 2007 verrechenbare Verlust sei auch für die Zukunft endgültig verloren, da die körperschaftlichen Verlustvorträge der B GmbH im Jahr 2008 wegen eines schädlichen Gesellschafterwechsels gemäß § 8 c KStG bzw. wegen einer Verschmelzung gemäß § 12 Abs. 3 UmwStG in voller Höhe untergegangen seien.
Es liege eine verfassungswidrige Übermaßbesteuerung sowie ein Verstoß gegen das objektive und subjektive Nettoprinzip vor, wenn der Verlustausgleich aufgrund der Anwendung der Mindestbesteuerung betragsmäßig begrenzt werde, obgleich bereits zu diesem Zeitpunkt feststehe, dass ein späterer Verlustausgleich nicht mehr möglich sein werde. Es müsse vielmehr sichergestellt sein, dass Verluste entweder im Verlustentstehungsjahr oder in einem anderen Veranlagungszeitraum berücksichtigt werden könnten.
Der BFH habe in seinem Beschluss vom 29.04.2005 XI B 127/04 (BStBl. II 2005, 609) diese Frage ausdrücklich offen gelassen, während das FG München in seinem Beschluss vom 31.07.2008 8 V 1588/08 (EFG 2008, 1736), der sich mit der Parallelvorschrift des § 10 a GewStG befasst habe, hierzu eingehend im Sinne der Antragstellerin Stellung genommen habe. Im Urteil vom 11.02.1998 I R 81/97, BStBl. II 1998, 485 habe der BFH ausgeführt, dass die Beschränkung der steuerlichen Verlustnutzung von Verfassungswegen solange hinzunehmen sei, wie die Abzugsfähigkeit von Verlusten nicht in ihrem Kernbereich betroffen und gänzlich ausgeschlossen sei.
Damit sei das - an sich nicht zu beanstandende (vgl. BFH-Beschluss vom 09.05.2001 XI B 151/00, BStBl. II 2001, 552, zur vorhergehenden Regelung des § 2 Abs. 3 Satz 3 EStG a.F.) - Ziel der Mindestbesteuerung, ausschließlich eine Streckung des Verlustnutzungszeitraums zu erreichen, im Streitfall verfehlt. Insofern führe die Anwendung der Mindestbesteuerung auch zu einer verfassungswidrigen Übermaßbesteuerung.
Aus der Formulierung der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 15/1518, Seite 13) gehe hervor, dass der Gesetzgeber die Vielzahl der Fälle der endgültigen Verlustkappung nicht gesehen habe. Zumindest lasse die Gesetzesbegründung nicht die von der Antragsgegnerin behauptete steuerliche Einschränkung des objektiven Nettoprinzips, die der Gesetzgeber nach Auffassung der Antragstellerin in Kauf genommen haben soll, erkennen. Der große Senat des BFH habe erst in seinem Beschluss vom 17.12.2007, GrS 2/04, BStBl. II 2008, 608, bestätigt, dass das verfassungsrechtliche Gebot des Art. 3 Abs. 1 GG die Einkommensteuerfestsetzung nach dem objektive...