rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung bei längerer urlaubsbedingter Abwesenheit und Beauftragung einer Hilfsperson zur Posterledigung - Wiedereinsetzung bei unterbliebener erforderlicher Anhörung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Regelungen zur Wiedereinsetzung (z.B. § 110 AO) räumen der Verwirklichung des materiellen Rechts Vorrang ein vor dem Rechtsgut der Rechtssicherheit. Die Anforderungen an die Gewährung der Wiedereinsetzung dürfen nicht überspannt werden.
2. Ein Steuerpflichtiger kann darauf vertrauen, dass er bei der Bearbeitung seiner Steuererklärung entsprechend § 91 AO und Tz. 1 AEAO zu § 91 wegen einer beabsichtigten erheblichen Abweichung von der Erklärung vorher angehört wird. Ist eine erforderliche Anhörung unterblieben und wurde dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsakts versäumt, so ist Wiedereinsetzung zu gewähren.
3. Bei einer urlaubsbedingten überschaubaren Abwesenheit auch von über sechs Wochen braucht ein Steuerpflichtiger zur Wahrung seiner persönlichen und geschäftlichen Angelegenheiten keinen rechtsgeschäftlichen Vertreter bestellen, wenn mit einer behördlichen Entscheidung während seiner Abwesenheit konkret nicht zu rechnen ist. Es genügt die Beauftragung einer zuverlässigen Person, um allgemein eine laufende Kontrolle der eingehenden Post sicherzustellen.
4. Eine nur zur Posterledigung beauftragte Hilfsperson ohne Vollmacht zum geschäftsmäßig verbindlichen Auftreten nach Außen handelt nicht als Vertreter im Sinne von § 110 Abs. 1 Satz 2 AO. Ein Verschulden der Hilfsperson ist dem Steuerpflichtigen nicht zuzurechnen.
Normenkette
AO §§ 91, 110, 126 Abs. 3 S. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist zu gewähren ist, sodann die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung wegen weiterer Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung.
Der Kläger, von Beruf Diplom-Physiker, war im Streitjahr ledig und wohnte in 1 in der Str. 1 (1. OG rechts). Im Streitjahr erzielte er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, zudem Einkünfte aus der Vermietung der Immobilien Str. 1 (1. OG Mitte) und Str. 2 in 1. Am 17.03.2014 wurde sein Sohn Y geboren.
Die Einkommensteuererklärung für 2013 reichte er am 31.07.2014 bei dem beklagten Finanzamt ein und erklärte darin aus der Vermietung einen Überschuss der Werbungskosten über die Einnahmen in Höhe von insgesamt 8.299 Euro. Neben weiteren Unterlagen legte er auch eine Rechnung der Firma Z vom 14.06.2013 über Sanitärarbeiten in Höhe von 5.878,36 Euro vor.
Das Finanzamt setzte in dem Bescheid vom 24.10.2014 die Einkommensteuer für 2013 in Höhe von 31.361 Euro endgültig fest. Bei den Vermietungseinkünften berücksichtigte es neben anderen, nicht streitigen Punkten, die Renovierungskosten nicht, weil die Rechnung nicht das Vermietungsobjekt benannte, sondern als Projekt anführte: "Mieter 2-OG Li, Str. 3, 1". Zu dem Vorgang hörte die Veranlagungsstelle des Finanzamts den Kläger nicht an. Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung berechnete das Finanzamt in Höhe von -2.197 Euro. In den Erläuterungen wurden die Abweichungen von der Steuererklärung angeführt. Wegen des Wortlauts der Formulierung wird auf den Bescheid hingewiesen.
Bereits am 23.10.2014 hatte sich der Kläger während seiner Elternzeit zusammen mit seinem Kind und dessen Mutter auf eine längere Urlaubsreise nach Australien begeben, von der er am 12.12.2014 zurückkehrte. Für die Zeit seiner Abwesenheit beauftragte er seinen Vater, regelmäßig den Briefkasten zu leeren und die Post zu sichten.
Am 13.12.2014 legte der Kläger formgerecht Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid vom 24.10.2014 ein und beantragte die Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist. Hierzu trug er vor, er habe erst am 12.12.2014 von dem Steuerbescheid Kenntnis erlangt. Die beanstandete Rechnung weise offensichtlich einen Tippfehler des Handwerkers aus. Er besitze keine Wohnung in der Str. 3. Die berichtigte Rechnung reichte er nach.
Mit Schreiben vom 17.12.2014 lehnte das Finanzamt den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach § 110 AO ab, weil das Verschulden, die gesetzliche Frist nicht eingehalten zu haben, dem Kläger zuzurechnen sei. Bei einem längeren Urlaub von über sechs Wochen habe er dafür Sorge zu tragen, dass ein Vertreter, der auch zur Einlegung von Einsprüchen berechtigt sei, sich um diese Angelegenheiten kümmern müsse.
Hierauf äußerte der Kläger in seinem Schreiben vom 31.12.2014 u.a., mit dem Eingang eines Steuerbescheides habe er nicht rechnen können, da sich die Erklärung schon fast vier Monate in Bearbeitung befunden habe. Er habe seinen Vater beauftragt, regelmäßig den Briefkasten zu leeren, was dieser auch zuverlässig getan habe. Als der Steuerbescheid eingetroffen sei, habe der Vater als Laie den Bescheid nicht im Detail prüfen können und übersehen, in welchem gravierenden Punkt das Finanzamt von der Steuererklärung abgewichen sei.
Auf den Inhalt des Schreibens vom 31.12.2014 wird verwiesen.
In der Entscheidung vom 05.06.2015 verwarf das ...