Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Durchbrechung der Bestandskraft von Steuerbescheiden bei nachträglich erkanntem Verstoß gegen das Unionsrecht

 

Leitsatz (redaktionell)

Verwaltungsakte, die nach Ablauf einer angemessenen Frist nicht mehr anfechtbar sind, sind auch dann für die Beteiligten bindend, wenn sie gegen das Unionsrecht verstoßen (vgl. BFH V R 57/09 vom 16.09.2010).

 

Normenkette

EGV Art. 10 Abs. 1; AO § 37 Abs. 2, § 125 Abs. 1, § 164 Abs. 2, § 171 Abs. 3a, 4, 8, § 175 Abs. 1 Nrn. 1-2

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 27.03.2019; Aktenzeichen V R 19/17)

BFH (Beschluss vom 27.03.2019; Aktenzeichen V R 19/17)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger die Umsatzsteuer für die Jahre 2004 und 2005 zu erstatten ist.

Der Kläger war in den Jahren 2002 bis 2010 als Berufsbetreuer unternehmerisch tätig. Bis 2003 machte er von der Kleinunternehmerregelung Gebrauch. Für das Jahr 2004 reichte der Kläger vierteljährlich Umsatzsteuervoranmeldungen ein, die für 2004 eine Umsatzsteuer in Höhe von 4.793,49 € auswiesen. Nachdem der Kläger keine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2004 abgegeben hatte, schätzte das Finanzamt C. mit Bescheid vom 05.12.2006 die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Umsatzsteuer 2004 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) auf 5.125 € fest. Am 08.12.2006 reichte der Kläger die Umsatzsteuerjahreserklärung 2004 beim Finanzamt ein, die eine Umsatzsteuer in Höhe von 7.788,41 € auswies. Das Finanzamt erließ am 05.12.2007 einen entsprechend geänderten Bescheid (§ 164 Abs. 2 AO). Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben.

Auch für das Jahr 2005 reichte der Kläger vierteljährliche Umsatzsteuervoranmeldungen ein, die eine Umsatzsteuerzahllast für 2005 in Höhe von 8.087,51 € ergaben. Am 08.12.2006 reichte der Kläger die Umsatzsteuerjahreserklärung 2005 beim Finanzamt ein, die eine Umsatzsteuer in Höhe von 8.170,10 € auswies. Die Steuererklärung galt mit dem Tag des Eingangs beim Finanzamt als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 168 AO). Ein Steuerbescheid wurde nicht erteilt.

Mit Schreiben vom 28.11.2012 beantragte der Kläger beim Finanzamt A-Stadt-Süd die Erstattung der aufgrund der Umsatzsteuerbescheide 2005 bis 2009 geleisteten Umsatzsteuerzahlungen unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 15.11.2012 C-174/11 (Zimmermann).

Das Finanzamt C. lehnte den vom Finanzamt A-Stadt-Süd zuständigkeitshalber weitergeleiteten Antrag auf Erstattung der Umsatzsteuer 2005 bis 2009 ab. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Im Laufe des Einspruchsverfahrens erließ das Finanzamt für die Jahre 2006 bis 2009 Änderungsbescheide und gewährte die Steuerbefreiung. Erstmals mit Schreiben des Klägers vom 06.06.2013 begehrte er auch die Erstattung der Umsatzsteuer 2004. Gegen die Ablehnung mit Schreiben vom 25.11.2013 legte der Kläger mit Schreiben vom 01.12.2013 Einspruch ein.

Die Einsprüche gegen die Ablehnung der Änderung bzw. Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide 2004 und 2005 wurden mit Einspruchsentscheidung vom 25.03.2015 als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzamt war der Auffassung, dass eine Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen 2004 und 2005 wegen eingetretener Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich sei.

Der Kläger hat Klage erhoben und zuletzt beantragt, den Umsatzsteuerbescheid 2004 vom 05.12.2007 und den Umsatzsteuerbescheid 2005 vom 08.12.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.03.2015 aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten, die gezahlte Umsatzsteuer für die Jahre 2004 und 2005 einschließlich der Zinsen zu erstatten.

Zur Begründung führt er aus:

Die Umsätze von Berufsbetreuern seien nach der Rechtsprechung des EuGH nicht der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Das Finanzamt habe sich zu Unrecht auf die Festsetzungsverjährung berufen.

Der Einspruch gegen die Umsatzsteuerfestsetzung 2004 sei durch Abhilfeentscheidung vom 05.12.2007 verbeschieden worden. Damit ende die "Zahlungsverjährungsfrist" erst Ende 2012.

Aufgrund des vom Finanzamt am 03.08.2005 versandten Fragebogens habe das Finanzamt mit Amtsermittlungen "im Zuge der Außenprüfung" begonnen, hierdurch werde der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Jahre 2004 bis 2009 gem. § 171 Abs. 4 AO hinausgeschoben. Die Außenprüfung sei nie förmlich durch einen Prüfungsbericht beendet worden.

Für das Jahr 2005 sei kein Umsatzsteuerbescheid erlassen worden. Die Zahlungen seien vorläufig erfolgt, vorläufige Steuerfestsetzungen unterlägen gem. § 171 Abs. 8 AO der Ablaufhemmung. Die Festsetzungsfrist habe danach erst Ende 2008 begonnen und 2012 geendet.

Gem. § 171 Abs. 14 AO ende die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO noch nicht verjährt sei. Es bestehe ein Anspruch auf Erstattung des entrichteten Steuerbetrags, weil dieser ohne rechtlichen Grund gezahlt worden sei. Die Vergütung des Berufsbetreuers sei umsatzsteuerfrei gewesen.

Weiter sei die Rechtsprechung des EuGH im Fall "Emmott" anwendbar, wonach nationale Fristen außer Betr...

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