Revision eingelegt (BFH III R 2/24)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerspruch eines Beigeladenen gegen die Übertragung des Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsfreibetrags (BEA-Freibetrag) nach § 32 Abs. 6 EStG
Leitsatz (amtlich)
Die Übertragung des Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsfreibetrags (BEA-Freibetrag) nach § 32 Abs. 6 EStG ist ausgeschlossen, wenn der nicht betreuende Elternteil der Übertragung widerspricht und das Kind regelmäßig in einem nicht unwesentlichen Umfang betreut.
Der Widerspruch gegen die Übertragung des BEA-Freibetrags kann auch dann begründet sein, wenn sich im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung ergibt, dass sich das Kind in räumlicher Nähe zum widersprechenden Elternteil bei nahen Verwandten aufhält und eine Prüfung der Betreuungsleistungen wegen der polarisierten familiären Situation nicht bewerkstelligt werden kann.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 6
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Übertragung des hälftigen Freibetrags für Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf (nachfolgend auch: BEA-Freibetrag) auf die Kindesmutter nach Widerspruch des Kindesvaters.
Die Ehe der Klägerin mit dem im Einspruchsverfahren hinzugezogenen und im vorliegenden Rechtsstreit beigeladenen Herrn L (nachfolgend: Beigeladener) wurde im Jahr 2011 geschieden. Aus der Ehe sind zwei gemeinsame Töchter (E., geboren am … 2003 und C., geboren am … 2006) hervorgegangen. Die Klägerin und der Beigeladene sind gemeinsam sorgeberechtigt. Während des gesamten Streitjahres 2019 waren die Töchter der Klägerin mit Hauptwohnsitz bei der Klägerin gemeldet, ein Nebenwohnsitz am Wohnort des Beigeladenen bestand nicht.
Im Einkommensteuerbescheid der Klägerin für 2019 vom 04.06.2020 wurden antragsgemäß der hälftige Kinderfreibetrag sowie der hälftige Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf für E in Höhe von 3.810,00 Euro (2.490,00 Euro und 1.320,00 Euro) sowie Kindergeld in Höhe von 1.194,00 Euro berücksichtigt. Für die Tochter C wurden ebenfalls der hälftige Kinderfreibetrag sowie der hälftige BEA-Freibetrag gewährt.
Mit dem am 07.07.2020 form- und fristgerecht von der Klägerin erhobenen Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2019 beantragte die Klägerin die Gewährung des BEA-Freibetrages in voller Höhe. Hierzu führte sie aus: Sie sei alleinerziehend und beide Kinder würden zu 100% bei ihr wohnen.
Der Beigeladene widersprach am 14.07.2020 der Übertragung des hälftigen BEA-Freibetrages auf die Klägerin. Er wurde daraufhin gemäß § 360 Abs. 1 AO zum Einspruchsverfahren der Klägerin hinzugezogen.
Die Klägerin machte zur Begründung ihres Einspruchs geltend:
E und C hätten seit 2015 kaum noch Kontakt zum Beigeladenen, dies belege ein Schreiben des Jugendamts Z vom 29.07.2015. Hierin habe der Beigeladene erklärt, dass er den Umgang mit seinen Töchtern einstellen wolle. Bis auf Weiteres wolle er keine Besuchstermine und keine Besuchswochenenden mehr wahrnehmen. An dieser Situation habe sich auch im Streitjahr nichts geändert.
Die Betreuung der Kinder würde die Klägerin übernehmen, jedoch erhalte sie dabei zeitweise Unterstützung von Seiten der 89 und 84 Jahre alten Großeltern ihrer Töchter, den Eltern des Beigeladenen. Der Beigeladene und seine Eltern würden ein Zweifamilienhaus mit zwei Eigentumswohnungen (X-Str. in Z) bewohnen. Einen gemeinsamen Haushalt des Beklagten und seiner Eltern gebe es nicht, den Großeltern gehöre das Erdgeschoss und Teile des Kellers (58% Wohnanteil). Der Beigeladene bewohne mit seiner jetzigen Frau die ihm gehörenden Obergeschosswohnung (42%), die er vor der Trennung mit der Klägerin und den beiden Töchtern bewohnt habe. Ein Gästezimmer im Keller werde für Übernachtungen der Kinder benutzt, wenn diese bei den Großeltern übernachten würden. Dieser Raum gehöre den Großeltern, welche die Kosten hierfür trügen und der auch vollständig von den Großeltern eingerichtet worden sei. Ein ehemaliges Kinderzimmer in der Wohnung des Beigeladenen sei möglicherweise noch vorhanden, die Kinder hätten aber die Wohnung des Beigeladenen seit dem Jahr 2015 nicht mehr betreten dürfen. In dem Zimmer habe sich noch Kleidung der Töchter befunden, diese habe der Beigeladene der Großmutter vor die Tür gestellt. Da die Klägerin dienstags und donnerstags bis 18.00 Uhr arbeiten müsse, gingen die Töchter in der Regel nach der Schule zum Mittagessen zu ihren Großeltern und blieben dort, bis die Klägerin sie nach der Arbeit um 18.30 Uhr abhole. Ein ganzes Wochenende hätten die Töchter schon lange nicht mehr bei ihren Großeltern verbracht. Im Streitjahr 2019 habe die Klägerin im Zeitraum vom 17.07.2019 bis 07.08.2019 mit ihrer Tochter C eine "Mutter-Kind-Kur" gemacht. Während dieser Zeit habe sich E bei ihren Großeltern aufgehalten und dort auch übernachtet. Auch C sei in den ersten beiden Ferienwochen und somit vor Antritt der Kur, wie jedes Jahr in den Sommerferien, bei den Großeltern zu Besuch gewesen. Die Klägerin könne mit dem ihr zustehenden Jahresurlaub nur die Hälfte der Schulferien...