Leitsatz
* 1. Erlischt der Haftungsanspruch während des Rechtsstreits über die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids infolge Zahlungsverjährung, so ist die Anfechtungsklage in der Hauptsache erledigt. Erklärt der Kläger die Erledigung erst in der Revisionsinstanz, während das FA an seinem Klagabweisungsantrag festhält, ist durch Urteil festzustellen, dass der Rechtsstreit erledigt und das Urteil des FG gegenstandslos ist; die Kosten des gesamten Verfahrens trägt in diesem Fall das FA.
2. Eine AdV-Verfügung unterbricht die Zahlungsverjährung nur dann, wenn sie bekannt gegeben worden ist. Beruft sich der Steuerpflichtige nach Ablauf der Verjährungsfrist darauf, die vom FA abgesandte, auf seinen Antrag ergangene AdV-Verfügung nicht erhalten zu haben, so steht dem der Grundsatz von Treu und Glauben nicht allein wegen Nichtzahlung der Haftungsschuld und Schweigen auf die Untätigkeit des FA entgegen.
* Leitsätze nicht amtlich
Normenkette
§ 47 AO , § 169 Abs. 1 Satz 3 AO , § 231 Abs. 1 AO , § 232 AO , § 361 Abs. 2 AO , § 138 FGO
Sachverhalt
Das FA hatte 1989 einen Haftungsbescheid erlassen, gegen den Einspruch erhoben und AdV- beantragt wurde. Das FA verfügte die AdV und gab diesen Bescheid zur Post. 1995 wies es den Einspruch zurück, wogegen Klage erhoben wurde. Im vom FG anberaumten Erörterungstermin machte der Haftungsschuldner geltend, die AdV-Verfügung nicht erhalten zu haben, so dass Zahlungsverjährung eingetreten sei. Die Klage wurde jedoch abgewiesen, weil das FG der Ansicht war, die Zahlungsverjährung sei dadurch unterbrochen worden, dass die AdV-Verfügung jedenfalls vor Eintritt der Verjährung den Bereich des FA verlassen habe.
Entscheidung
Der BFH hat den Eintritt der Erledigung und die Gegenstandslosigkeit des erstinstanzlichen Urteils festgestellt und dem FA die Kosten des gesamten Verfahrens auferlegt. Hinsichtlich der Frage, ob es glaubhaft ist, dass der Haftungsschuldner die AdV-Verfügung nicht erhalten hat, war er an die tatsächliche Würdigung des FG gebunden. Die Berufung des Steuerpflichtigen auf den fehlenden Zugang der AdV-Verfügung hat er auch nicht als treuwidrig angesehen, weil die Nichtzahlung der Schuld und die – aus der Sicht des Haftungsschuldners gegebene – Nichtbescheidung des AdV-Antrags keinen Vertrauenstatbestand geschaffen habe.
Hinweis
1. Festgesetzte Steuern und Haftungsansprüche unterliegen bekanntlich einer besonderen Zahlungsverjährung, die fünf Jahre beträgt. Nach Ablauf dieser Frist erlöschen die festgesetzten Ansprüche des FA. Die Frist wird nicht dadurch gehemmt oder unterbrochen, dass gegen den Steuer- oder Haftungsbescheid ein Rechtsbehelfsverfahren anhängig ist. Diese gesetzliche Entscheidung ist systemkonform, weil das Erhebungsverfahren und insbesondere die Pflicht des Steuerbürgers zur Zahlung festgesetzter Steuern und Haftungsschulden von der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Festsetzung in einem Rechtsbehelfsverfahren unabhängig ist. Nur wenn die Zahlungspflicht einstweilen suspendiert, d.h. AdV gewährt wird, kann auch die Verjährungsfrist nicht weiterlaufen; dementsprechend bestimmt § 231 Abs. 1 Satz 1 AO, dass – u.a. – durch AdV die Zahlungsverjährung unterbrochen wird.
2. Nach § 231 Abs. 1 Satz 2 AO gilt hinsichtlich der Unterbrechungshandlungen§ 169 Abs. 1 Satz 3 AO sinngemäß; d.h. die Unterbrechungswirkung tritt ein, wenn die AdV-Verfügung vor Eintritt der Zahlungsverjährung den Bereich des FA verlassen hat. Es war lange streitig, ob dies eine hinreichende Bedingung für den Eintritt der Unterbrechungswirkung (bzw. bei Steuerbescheiden für die Unterbrechung der Festsetzungsverjährung) ist oder ob als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal hinzukommen muss, dass die Verfügung dem Betroffenen bekannt gemacht wird (wenn auch möglicherweise erst nach Ablauf der Verjährungsfrist, so dass mit anderen Worten § 169 Abs. 1 Satz 3 AO die Fristen gleichsam nur um die Postlaufzeit verlängert werden).
Diese Frage ist für Steuerbescheide vom Großen Senat des BFH (BFH-PR 2003, 282) und für die Unterbrechung der Zahlungsverjährung im Anschluss daran durch das BFH-Urteil vom 28.8.2003, VII R 22/01 in BFH-PR 2004, 35 (zur Zahlungsaufforderung; zur AdV-Verfügung ebenso schon BFH-Urteil vom 22.7.1999, V R 44/98 in BStBl II 1999, 749) dahin entschieden worden, dass die Bekanntgabe hinzutreten muss, wobei das FA insoweit selbstredend die Feststellungslast trägt. § 231 Abs. 1 Satz 2 und § 169 Abs. 1 Satz 3 AO sind also weitgehend entwertet; das FA muss, um sicherzugehen, Bescheide mit Unterbrechungswirkung zustellen.
3. Die Berufung auf den unterbliebenen Zugang der AdV-Verfügung bzw. die mangelnde Kenntnis von sonstigen bekanntgabebedürftigen Unterbrechungshandlungen wie der Zahlungsaufforderung kann freilich im Einzelfall treuwidrig sein. Treuwidrigkeit ergibt sich regelmäßig aber nicht aus dem Gesichtspunkt der Verwirkung. Denn Verwirkung droht immer nur dem Rechtsinhaber, das ist das FA.
Der Schuldner einer Steuer- oder Haftungsforderung hingegen hat keine Handlungspflichten, durch deren Nichter...