Leitsatz

Beim Übergang von Vermögen auf eine Familienstiftung ist für die Bestimmung der anwendbaren Steuerklasse und des Freibetrags als "entferntest Berechtigter" zum Schenker derjenige anzusehen, der nach der Stiftungssatzung potentiell Vermögensvorteile aus der Stiftung erhalten kann. Unerheblich ist, ob die Person zum Zeitpunkt des Stiftungsgeschäfts schon geboren ist, jemals geboren wird und tatsächlich finanzielle Vorteile aus der Stiftung erlangen wird.

 

Normenkette

§ 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1, § 15 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, § 16 Abs. 1 Nr. 4, § 19 Abs. 1 ErbStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin errichtete zusammen mit ihrem Ehemann eine Familienstiftung. Die Stiftung wurde mit Vermögen ausgestattet; der Steuerwert des übertragenen Vermögens belief sich auf 443.051 EUR.

Im Stiftungsgeschäft und in der Stiftungssatzung wurde angegeben, die Familienstiftung habe zum Zweck die angemessene Versorgung der Klägerin und ihres Ehemannes (§ 3 Buchst. a der Stiftungssatzung), die angemessene finanzielle Unterstützung der Tochter der Stifter (§ 3 Buchst. b der Stiftungssatzung) sowie die angemessene finanzielle Unterstützung weiterer Abkömmlinge des Stammes der Stifter, jedoch erst nach Wegfall der vorherigen Generation (§ 3 Buchst. c der Stiftungssatzung).

Das FA sah für Zwecke der SchenkSt hinsichtlich der Übertragung des Vermögens auf die Familienstiftung als "entferntest Berechtigten" i. S. d. § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG die in § 3 Buchst. c der Stiftungssatzung angeführten "weiteren Abkömmlinge" an. Es ordnete den Erwerb gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG der Steuerklasse I ("Abkömmlinge der Kinder und Stiefkinder") zu und brachte gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG für die "übrigen Personen der Steuerklasse I" einen Freibetrag i. H. v. 100.000 EUR in Abzug. SchenkSt wurde zuletzt mit Änderungsbescheid vom 11.6.2020 i. H. v. 59.175 EUR festgesetzt. Der hiergegen erhobene Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Die Klage vor dem FG hatte keinen Erfolg (Niedersächsisches FG, Urteil vom 24.6.2021, 3 K 5/21, Haufe-Index 14677902).

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass sich für die Besteuerung der Vermögensübertragung auf die Familienstiftung der Klägerin und ihres Ehemannes die Steuerklasse und der anzurechnende Freibetrag nach den für Urenkel geltenden Vorschriften bestimmen.

 

Hinweis

1. Der Übergang von Vermögen aufgrund eines Stiftungsgeschäfts unter Lebenden gilt nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 ErbStG als Schenkung unter Lebenden. Hierbei ist der Besteuerung gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Erblasser oder Schenker zugrunde zu legen, sofern die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien im Inland errichtet ist.

2. Die Errichtung einer Familienstiftung soll typischerweise familienrechtlich die finanzielle Versorgung nachfolgender Generationen sicherstellen. Erbschaftsteuerrechtlich bietet sie durch § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG die Möglichkeit, bei potenzieller Begünstigung auch von in der Generationenfolge zeitlich weiter entfernten direkten Abkömmlingen durch entsprechende Gestaltung des Stiftungsgeschäfts höhere Freibeträge zu erhalten, als wenn bei der ersten Übertragung von Vermögen auf die Stiftung auf das Verhältnis des Stifters zu der Stiftung selbst abzustellen und beide als fremde Dritte anzusehen wären. Danach privilegiert § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG Zuwendungen bei der Errichtung einer Familienstiftung und gibt dem Stifter die Möglichkeit, eine günstigere Steuerklasse und einen höheren Freibetrag zu erhalten.

3. Nach Auffassung des BFH ist die Formulierung des "entferntest Berechtigten" dahin gehend zu verstehen, dass derjenige bezeichnet wird, der nach der Stiftungssatzung potenziell Vermögensvorteile aus der Stiftung erhalten soll. Der "Berechtigte" i. S. d. § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG entspricht danach dem nach der Stiftungssatzung "potentiell Begünstigten", der durch den Erwerb von Vermögensvorteilen aus der Stiftung begünstigt sein kann.

4."Entferntest Berechtigter" ist stets derjenige Berechtigte, für den die schlechteste Steuerklasse Anwendung fände, wäre die Zuwendung direkt vom Stifter an diesen erfolgt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die nach der Stiftungssatzung "entferntest Berechtigten" zum Zeitpunkt des Stiftungsgeschäfts schon geboren sind oder jemals geboren werden. Wer bei der einzelnen Familienstiftung als "entferntest Berechtigter" anzusehen ist, ist der Formulierung in der jeweiligen Stiftungssatzung zu entnehmen. Damit obliegt es dem Stifter, den Kreis der aus dem Stiftungsvermögen potenziell Begünstigten festzulegen.

5. Die Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG ist Teil der Festlegung der anwendbaren Steuerklassen. Die Einteilung der Steuerpflichtigen in unterschiedliche Steuerklassen ist wiederum maßgebend für die Bestimmung der persönlichen Freibeträge gemäß §§ 16, 17 ErbStG und die Höhe des Steuersatzes nach § 19 ErbStG.

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