Joachim Moritz, Dr. Joachim Strohm
Rz. 348
§ 20 Abs. 5 S. 1 EStG bestimmt, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG der Anteilseigner erzielt. Anteilseigner ist nach § 20 Abs. 5 S. 2 EStG derjenige, dem die Anteile nach § 39 AO im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses zuzurechnen sind. § 39 Abs. 1 AO rechnet Wirtschaftsgüter für steuerliche Zwecke grundsätzlich dem zivilrechtlichen Eigentümer zu. Sofern jedoch ein anderer als der zivilrechtliche Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den zivilrechtlichen Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, wird das Wirtschaftsgut nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 AO dieser Person zugerechnet, die sodann als wirtschaftlicher Eigentümer bezeichnet wird. Kennzeichnend für die Stellung als wirtschaftlicher Eigentümer ist nach der Rspr., dass Besitz und Gefahr, Nutzen und Lasten, insbesondere die Chancen auf eine Wertsteigerung und das Risiko einer Wertminderung bei der betreffenden Person liegen. Unter diesen Voraussetzungen können auch Anteile an Kapitalgesellschaften Gegenstand des wirtschaftlichen Eigentums sein. Entscheidend ist das Gesamtbild der Verhältnisse. Für den Fall der Übertragung von Kapitalbeteiligungen hat die Rspr. die Anforderungen an das wirtschaftliche Eigentum weiter konkretisiert. Danach ist im Fall der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften vom Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums auszugehen, wenn der Käufer aufgrund eines bürgerlich-rechtlichen Rechtsgeschäfts eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte, namentlich das Gewinnbezugs- und das Stimmrecht, sowie das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind.
Rz. 349
§ 20 Abs. 5 S. 1 EStG setzt voraus, dass die Anteile dem Stpfl. im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses nach § 39 AO zuzurechnen sind, damit er als derjenige gilt, der die Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 EStG erzielt. Eine Zurechnung zu einem beliebigen Zeitpunkt genügt nicht. Gewinnverteilungsbeschluss ist der Beschluss der Gesellschafterversammlung, durch den die Verteilung des durch die Gesellschaft erwirtschafteten Gewinns an die Gesellschafter festgelegt wird. Den Gesellschaftern steht als Ausfluss ihres Mitgliedschaftsrechts ein allgemeiner Gewinnanspruch zu, der untrennbar mit der Gesellschafterstellung verbunden ist. Erst wenn die Gesellschafter eine Ausschüttung des Gewinns beschließen, spaltet sich der allgemeine Gewinnanspruch vom Mitgliedschaftsrecht ab und wird zu einem eigenständigen Forderungsrecht. Die Maßgeblichkeit des Gewinnverteilungsbeschlusses für die Einkünftezurechnung in § 20 Abs. 5 S. 2 EStG wirft die Frage auf, wie Fälle zu behandeln sind, in denen ein Gewinnverteilungsbeschluss fehlt, was etwa bei einer vgA oder einer Beteiligung an einer ausl. Kapitalgesellschaft der Fall sein kann. § 20 Abs. 5 S. 2 EStG muss u. E. auch in diesen Konstellationen Anwendung finden, da nur auf diese Weise gewährleistet ist, dass sämtliche Beteiligungserträge gleich behandelt werden. Insofern lässt sich § 20 Abs. 5 S. 2 EStG der allgemeine Rechtsgedanke entnehmen, dass es bei den Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 EStG für die Zurechnung auf den Zeitpunkt der zivilrechtlichen Entstehung des Gewinnanspruchs ankommen soll. Liegt ein Gewinnverteilungsbeschluss nicht vor, ist daher in erster Linie auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem auf andere Weise ein Anspruch auf den Beteiligungsertrag nach Maßgabe des jeweils anwendbaren (ausl.) Zivilrechts begründet wird. Fehlt es hieran, ist u. E. auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses abzustellen.