Leitsatz
Es ist derzeit nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG 2002 unter Beachtung der Grundsätze, die der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinen Urteilen vom 03.10.2006, Rs. C-290/04 „FKP Scorpio Konzertproduktionen GmbH” (BFH-PR 2007, 490, IStR 2006, 743) und vom 15.02.2007, Rs. C-345/04 „Centro Equestre da Lezíria Grande” (BFH-PR 2007, 138, IStR 2007, 212) für die Jahre 1993 und 1996 aufgestellt hat, trotz des zwischenzeitlichen Inkrafttretens der EG-Beitreibungs-RL 2001/44/EG vom 15.06.2001 (ABlEG Nr. L 175, 17) auch im Jahr 2007 mit Gemeinschaftsrecht in Einklang steht.
Normenkette
§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d, § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG, Art. 59, 60 EGV (= Art. 49, 50 EG); § 69 Abs. 3 FGO
Sachverhalt
Unternehmensgegenstand der Antragstellerin, einer GmbH, ist die Durchführung von Tourneen mit ausländischen Künstlern im Inland. Die Antragstellerin meldete beim FA für das 1. Quartal 2007 (streitgegenständlicher Zeitraum) gem. § 50a EStG 2002 i.V.m. § 73e EStDV 2000 unter anderem einen Steuerabzug gem. § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 an, der auf Vergütungen beruhte, welche sie an Künstler gezahlt hatte, die in Großbritannien ansässig waren. Gegen die Steueranmeldung erhob sie unter Hinweis auf das EuGH-Urteil vom 03.10.2006, Rs. C-290/04 „Scorpio” und die EG-Beitreibungs-RL 2001/44/EG des Rats vom 15.06.2001 Einspruch und beantragte zugleich die AdV der Anmeldung, soweit diese auf die an die Künstler aus Großbritannien gezahlten Vergütungen entfiel.
Das FA lehnte den AdV-Antrag ab. Der daraufhin beim FG gestellte Antrag gem. § 69 Abs. 3 FGO war hingegen erfolgreich (EFG 2007, 1882).
Entscheidung
Das sah der BFH überraschenderweise anders. Er hob den FG-Beschluss auf und hatte keinen ernstlichen Zweifel daran, dass der Steuerabzug derzeit gemeinschaftsrechtmäßig sei. Für die vom EuGH angemahnte (partielle) Berücksichtigung von Betriebsausgaben gab es keinen Anlass, weil die britischen Künstler der Antragstellerin keine solche mitgeteilt hatte.
Hinweis
1. Ausländische Künstler und Sportler, die in Deutschland auftreten, werden als beschränkt Steuerpflichtige nach § 50a EStG bekanntlich einem speziellen Steuerabzug unterworfen. Der inländische Veranstalter ist gemeinhin gehalten, bis zu 20 % der Auftrittshonorare „an der Quelle” einzubehalten und an das FA abzuführen. Bemessungsgrundlage für diesen Steuerabzug sind die Bruttohonorare; Betriebsausgaben werden nicht berücksichtigt.
Seit geraumer Zeit wird darüber diskutiert, ob dieser Steuerabzug in Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverboten steht. Der EuGH hat in zwei Urteilen (vom 03.10.2006, Rs. C-290/04 „Scorpio”, BFH-PR 2006, 743 und vom 15.02.2007, Rs. C-345/04 „Centro Equestre da Lezíria Grande”, BFH-PR 2007, 138) unlängst verlangt, dass dem Veranstalter mitgeteilte Betriebsausgaben zu berücksichtigen sind.
Den Steuerabzug selbst hat der EuGH jedoch gleichwohl als effizientes Mittel der Steuererhebung angesehen und den Abzug unter der Voraussetzung gebilligt, dass dem Künstler und Sportler später etwaige Überzahlungen erstattet werden. Der EuGH hat allerdings beiläufig anklingen lassen, die Rechtslage habe sich möglicherweise ab Mitte 2002 geändert; seitdem war die sog. Beitreibungs-RL der EG in Kraft, die die zwischenstaatliche Steuererhebung erleichtern und sicherstellen soll. Infolgedessen hat der BFH in diversen Anschlussurteilen denn auch notiert; die Rechtslage sei „jedenfalls” bis Mitte 2002 EG-rechtlich „unverdächtig” (vgl. Urteile vom 24.04.2007, I R 39/04, BFH-PR 2008, 36; I R 93/03, BFH-PR 2007, 332; siehe auch BFH-PR 2007, 252,301).
2. Im nunmehrigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (und demnach vor dem Hintergrund einer vorerst nur summarischen Prüfung) haben sich solche Zweifel an der Gemeinschaftsrechtmäßigkeit des Abzugsverfahrens vorerst nicht bestätigt:
Nach Auffassung des BFH verstößt die fortbestehende deutsche Gesetzeslage gleichwohl und nach wie vor nicht gegen Europarecht. Die EG-Beitreibungs-RL habe die Situation nicht verändert. Die zwischenstaatliche Amtshilfe sei in ihrer Intensität und Umsetzung, vor allem angesichts unterschiedlicher Verwaltungsabläufe in den einzelnen Mitgliedstaaten, sprachlicher Schwierigkeiten und ähnlicher Unabgestimmtheiten, gegenwärtig noch unzulänglich und nicht geeignet, die vom EuGH ausdrücklich bestätigte Effizienz des Abzugssystems zu ersetzen. Sie lasse derzeit vielmehr gegenüber unbeschränkt steuerpflichtigen Künstlern und Sportlern gleichheitswidrige Defizite des Steuervollzugs und der Steueraufsicht befürchten. Dass die Kommission der EG am 26.03.2007 (Az. 1999/4852) gegen Deutschland wegen der Künstler- und Sportlerbesteuerung ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet habe, stehe dem nicht entgegen; es betreffe lediglich die gebotene Berücksichtigung von Betriebsausgaben.
3. Möglicherweise kommt der AdV-Beschluss des BFH für den einen oder für den anderen überraschend. Möglicherweise schätzt der eine oder der...