Leitsatz
Ein Steuerpflichtiger, der nach Artikel 21 Nummer 1 der 6. EG-RL (vgl. § 13b UStG) als Empfänger einer Dienstleistung die darauf entfallende Mehrwertsteuer schuldet, braucht für die Ausübung seines Vorsteuerabzugsrechts keine nach Artikel 22 Absatz 3 6. EG-RL (vgl. § 14 UStG) ausgestellte Rechnung zu besitzen.
Normenkette
Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-RL , Art. 21 Nummer 1 Buchst. b der 6. EG-RL , Art. 22 Abs. 3 der 6. EG-RL (vgl. § 13b, § 14 UStG)
Sachverhalt
Ein Bauunternehmer setzte englische Bauarbeiter ein, die ihm von einem Unternehmen unter der Firma "X" (Niederlande) zur Verfügung gestellt worden waren. Die von diesen englischen Bauarbeitern verrichteten Arbeiten wurden ihm mit englischer USt-IdNr. in Rechnung gestellt. Sie wiesen außerdem die in Rechnung gestellte Leistung als Gewerke aus, obwohl es sich in Wirklichkeit um die Gestellung von Personal handelte. Die Rechnungen wiesen keine Umsatzsteuer aus, sondern enthielten vielmehr den Vermerk "Nullregelung Par. 52 UStDV vereinbart".
Entscheidung
Der EuGH beantwortete die Vorlagefrage wie im Leitsatz wiedergegeben. Der BFH wird die Antwort des EuGH jetzt im konkreten Fall umsetzen.
Hinweis
Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist grundsätzlich eine ordnungsgemäße (Art. 18 Abs. 1 Buchst. a und Art. 22 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-RL; vgl. § 14 UStG) Rechnung.
Nicht zweifelsfrei war, ob die Anforderungen an den Inhalt der Rechnung in gleicher Weise für den Regelfall gelten wie für die Fälle der "Verlagerung der Steuerschuld" auf den Leistungsempfänger (vgl. jetzt § 13b UStG bzw. bis 1.1.2002 das Abzugsverfahren nach §§ 51 bis 58 UStDV).
Der BFH hatte in einem Fall dem EuGH zusammengefasst folgende Fragen vorgelegt:
- Welche Anforderungen sind an die Rechnung zu stellen, wenn nicht der Leistende, sondern der Leistungsempfänger Steuerschuldner ist (vgl. Art. 21 Nr. 1 Buchst. b der 6. EG-RL; vgl. ab 1.1.2002 § 13b UStG)?
- Welche Angaben muss die Rechnung enthalten?
- Ist es schädlich, wenn statt der Gestellung von Personal die mit Hilfe dieses Personals erstellten Gewerke als Leistungsgegenstand bezeichnet werden?
- Welche Rechtsfolgen hätten nicht behebbare Zweifel daran, dass der Rechnungsaussteller die berechnete Leistung erbracht hat?
Der Ausgangsfall des BFH, der der Besprechungsentscheidung zugrunde liegt, betraf noch das Abzugsverfahren nach §§ 51 bis 58 UStDV UStG vor 2002 a.F. und dort die sog. Nullregelung – § 52 Abs. 2 UStDV a.F. Die Entscheidung des EuGH hat jedoch für § 13b UStG Bedeutung.
Nach Art. 22 Abs. 3 der 6. EG-RL hat jeder Steuerpflichtige für die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen, die er an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt, eine Rechnung oder ein an deren Stelle tretendes Dokument auszustellen. Die Rechnung muss getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen.
Die Mitgliedstaaten legen die Kriterien fest, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann. Für den Fall der Verlagerung der Steuerschuld (Art. 21 Nr. 1 der 6. EG-RL) bestimmt Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der 6. EG-RL, dass der Steuerschuldner (also der Leistungsempfänger) die von jedem Mitgliedstaat vorgeschriebenen Förmlichkeiten erfüllen muss.
Die den Mitgliedstaaten durch Artikel 18 Abs. 1 Buchst. d der 6. EG-RL eröffnete Möglichkeit erlaubt diesen zwar, die Förmlichkeiten für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts bei einer Steuerschuldverlagerung vorzuschreiben; diese Befugnis muss jedoch im Einklang mit den Zielen der 6. EG-RL ausgeübt werden: die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Steuerverwaltung sicherzustellen. Sie darf aber andererseits nicht die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.
Im Fall einer Steuerschuldverlagerung kann die Feststellung, dass und in welcher Höhe der Steuerpflichtige, der Empfänger einer Lieferung oder einer Dienstleistung ist, Mehrwertsteuer schuldet, nur auf der Grundlage überprüfbarer Angaben getroffen worden sein. Verfügt die Steuerverwaltung über die Angaben, die für die Feststellung erforderlich sind, dass der Steuerpflichtige als Empfänger der fraglichen Leistung die Mehrwertsteuer schuldet, so darf sie hinsichtlich des Rechts des Steuerpflichtigen auf Abzug der Mehrwertsteuer keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, die die Ausübung dieses Rechts verhindern können. (Rz. 51).
Wenn deshalb ein Unternehmer als Empfänger einer Dienstleistung als Steuerschuldner in Anspruch genommen wird, kann die Steuerverwaltung nicht als zusätzliche Voraussetzung für das Vorsteuerabzugsrecht verlangen, dass er eine "ordnungsgemäß" (Art. 22 Abs. 3 der 6. EG-RL / § 14 UStG) ausgestellte Rechnung besitzt. Ein derartiges Erfordernis würde nämlich dazu führen, dass der Steuerpflichtige einerseits als Dienstleistungsempfänger die entsprechende Mehrwertsteuer schuldet, andererseits aber Gefahr läuft, d...