Leitsatz
1. Werden fällig gewordene Steuerbeträge pflichtwidrig nicht an das FA abgeführt, kann die Kausalität dieser Pflichtverletzung für einen dadurch beim Fiskus entstandenen Vermögensschaden nicht durch nachträglich eingetretene Umstände oder durch die Annahme eines hypothetischen Kausalverlaufs beseitigt werden.
2. Die Frage, ob ein hypothetischer Kausalverlauf bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme Berücksichtigung finden kann, ist im Rahmen der Schadenszurechnung unter Berücksichtigung des Schutzzwecks von § 69 AO zu beantworten.
3. Die Funktion und der Schutzzweck des in § 69 AO normierten Haftungstatbestands schließen die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe aus. Deshalb entfällt die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers nicht dadurch, dass der Steuerausfall unter Annahme einer hypothetischen, auf § 130 Abs. 1 InsO gestützten Anfechtung gedachter Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter ebenfalls entstanden wäre.
Normenkette
§ 69, § 34 AO, § 41a EStG, § 130 Abs. 1 InsO
Sachverhalt
Der Geschäftsführer einer GmbH, für die am 22.4.2002 ein Insolvenzantrag gestellt worden und am 19.7.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, wird vom FA auf Haftung für rückständige LSt der GmbH in Anspruch genommen, welche nach dem 22.1.2002 fällig geworden waren.
Die dagegen erhobene Klage hatte teilweise Erfolg (EFG 2006, 83).
Entscheidung
Der BFH schloss sich dagegen der Rechtsauffassung des FA an. Die Gründe sind den Praxis-Hinweisen zu entnehmen.
Hinweis
Der BFH sieht bekanntlich in der Haftungsvorschrift des § 69 AO eine Art Schadenersatznorm: Zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem Steuerausfall auf Seiten des FA muss ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen. Daran fehlt es zweifellos z.B. dann, wenn die fragliche Steuer bei pflichtgemäßer Anmeldung ohnehin nicht hätte gezahlt werden können. Die bisher vom BFH mehrfach gestellte, aber noch nicht beantwortete Frage war aber: Entfällt dieser Kausalzusammenhang auch dann, wenn der Insolvenzverwalter die vom Geschäftsführer geforderten Zahlungen – weil diese innerhalb von drei Monaten vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistet worden sind – nach § 130 InsO anfechten könnte?
Ein solcher hypothetischer Geschehensablauf lässt die Kausalität einer tatsächlich eingetretenen Ursache nicht entfallen; gleichwohl können insbesondere nach der Rechtsprechung des BGH hypothetische Kausalverläufe die Schadenersatz-Haftung ausschließen, wenn dies dem Schutzzweck der verletzten Norm nicht widerspricht. Das ist grundsätzlich bei dem Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht anzunehmen, wenn also der Schaden auch dann in gleicher Weise eingetreten wäre, wenn sich der als Schädiger in Anspruch genommene rechtmäßig verhalten hätte.
So liegen die Dinge bei insolvenzrechtlich anfechtbaren Steuerzahlungen (sofern die Anfechtungsvoraussetzungen später tatsächlich eintreten, vor allem also das Insolvenzverfahren tatsächlich eröffnet wird und ferner das FA die Zahlungsunfähigkeit der GmbH bei Erhalt der Steuerzahlung kannte).
Gleichwohl will der BFH in der Besprechungsentscheidung diese Reserveursache für den Steuerausfall nicht berücksichtigen. Zur Rechtfertigung dieser (allerdings auch von einigen FGs vertretenen) Ansicht wird viel gesagt, was wohl alles gleichsam die Einzigartigkeit der Geschäftsführerhaftung belegen soll, die denn nun doch nicht allzu sehr einem Schadenersatzanspruch gleichen soll. Ähnliche "Rückzieher" macht die Rechtsprechung übrigens beim Mitverschulden des FA, das allenfalls bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen sein soll (BFH, Entscheidungen vom 2.11.2001, VII B 75/01, BFH/NV 2002, 310 und vom 11.5.2000, VII B 217/99, BFH/NV 2000, 1442; dagegen u.a. Klein/Rüsken, AO, § 191 Rd.Nr. 44).
Problematischer als diese Begründungserwägungen, die vielleicht nicht jeden überzeugen werden, ist die Kluft, die sich nun zur Rechtsprechung des BGH zur Haftung für die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen auftut, die aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB folgt und bei der die nämliche Reserveursache haftungsausschließend berücksichtigt wird.
Der BFH sieht sich zu dieser BGH-Rechtsprechung nicht in Widerspruch, weil die Geschäftsführerhaftung keine deliktische Haftung sei. Ist das mehr als ein rechtskonstruktiver Unterschied? Die Wertungsunterschiede dürften einem Geschäftsführer zumindest nicht ganz leicht zu vermitteln sein.
Im Ergebnis wird man freilich dem BFH recht geben müssen. Denn die LSt-Zahlungen sind nach den Grundsätzen der Bargeschäfte (§ 142 InsO) insolvenzrechtlich zu beurteilen, sodass eine Anfechtung nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO möglich ist (vgl. BFH, Beschluss vom 11.8.2005, VII B 244/04, BFH-PR 2006, 42), wogegen allerdings von Seiten des Zivilrechts heftiger Widerspruch erhoben wird (vgl. Kayser, ZIP 2007, 49).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 5.6.2007, VII R 65/05