Leitsatz
* 1. Wer im Inland einen oder mehrere Wohnsitze hat, ist auch dann unbeschränkt steuerpflichtig, wenn sich der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen im Ausland befindet.
2. Die Einkünfte einer ausländischen Kapitalgesellschaft mit inländischer Geschäftsleitung und deshalb unbeschränkter Steuerpflicht im Inland sind dem inländischen Gesellschafter auch dann nicht gem. § 42 AO zuzurechnen, wenn die ausländische Gesellschaft eigenwirtschaftlich funktionslos ist.
* Leitsatz nicht amtlich
Normenkette
§ 1 Abs. 1 EStG , § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG , § 8 AO , § 10 AO , § 12 Satz 2 Nr. 1 AO , § 42 AO
Sachverhalt
Der Kläger, der Einnahmen aus Provisionsvertretungen als selbstständiger Handelsvertreter erklärte, hatte sich nach Luxemburg abgemeldet und wurde seither vom FA als beschränkt steuerpflichtig behandelt. Schon Jahre zuvor hatte er in Luxemburg eine AG gegründet, deren Anteile er zu 94 % hielt und als deren Generalbevollmächtigter er fungierte. Die AG betrieb in einem Haus, das dem Sohn des Klägers gehörte, im angemieteten Dachgeschoss eine Niederlassung. Das Erdgeschoss nutzte der Kläger gelegentlich zu Wohnzwecken.
Das FA stellte im Rahmen einer Betriebsprüfung fest, dass nahezu die gesamten geschäftlichen Aktivitäten der AG, insbesondere die Rechnungslegung, der Zahlungsverkehr und die Buchhaltung, von dieser Niederlassung aus abgewickelt wurden. Die AG erhielt von der Niederlassung lediglich liquide Mittel, die das Gehalt des Klägers und die Verwaltungskosten abdeckten. In Luxemburg war die AG letztlich eigenwirtschaftlich funktionslos.
Das FA behandelte deshalb die Filiale der AG als Einzelfirma des Klägers und ging ferner davon aus, dass dieser einen Wohnsitz im Inland innegehabt habe.
Entscheidung
Der BFH bestätigt in der Sache das klageabweisende Urteil des FG (EFG 2001, 214).
Er ging aufgrund der tatrichterlichen Feststellungen davon aus, dass der Kläger im Inland über eine Wohnung verfügte und deswegen hier unbeschränkt steuerpflichtig war. Er ging weiterhin aufgrund der Feststellungen des FG davon aus, dass die Geschäftsleitung der AG sich im Inland befunden habe. In Luxemburg sei sie funktionslos gewesen.
Davon ausgehend sei die AG aber im Inland unbeschränkt steuerpflichtig. Ihre Einkünfte unterfielen deswegen hier der unbeschränkten KSt-Pflicht, so dass eine Zurechung ihrer Einkünfte als solche eines Einzelunternehmens des Klägers über § 42 AO nicht in Betracht kommen könne. Vor der Zurechnung der von einer ausländischen Kapitalgesellschaft erzielten Einkünfte an ihren Gesellschafter mit inländischem Wohnsitz (§ 42 AO) sei stets zu prüfen, ob die Kapitalgesellschaft nicht den Ort ihrer Geschäftsleitung im Inland habe und damit dort unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sei. Die einschlägigen GewSt-Mess- und EW-Bescheide hätten folglich unmittelbar gegen die AG und nicht gegen den Kläger ergehen müssen.
Hinweis
Das amtlich nicht veröffentlichte Urteil ist in zweierlei Hinsicht von praktischer Bedeutung:
Zum einen bestätigt es ein weiteres NV-Urteil, nämlich jenes vom 24.1.2001, I R 100/99 (BFH/NV 2001, 1402), in welchem zum Ausdruck gebracht worden war, dass die unbeschränkte ESt-Pflicht bereits dann ausgelöst wird, wenn die betreffende Person im Inland über (irgend-)einen Wohnsitz verfügt. Es muss sich hierbei keineswegs um den Lebensmittelpunkt handeln. Dieser kann also ohne weiteres im Ausland belegen sein. Steht dem Steuerpflichtigen also im Inland eine Wohnung zur jederzeitigen (Mit-)Nutzung zur Verfügung, dann tritt er in die unbeschränkte Steuerpflicht ein.
Zum anderen bestimmt das Urteil das Verhältnis zwischen (eigener) Steuerpflicht und Zurechnung eines (fremden) Erwirtschaftens über die Zurechnungsnorm des Gestaltungsmissbrauchs gem. § 42 AO: Bedient sich ein unbeschränkt Steuerpflichtiger als Gesellschafter einer ausländischen eigenwirtschaftlich funktionslosen Kapitalgesellschaft, einer sog. Basisgesellschaft, um Einkünfte in das Ausland "auszulagern", so gelingt dies regelmäßig nicht. Die Einschaltung der Basisgesellschaft wird gemeinhin als rechtsmissbräuchlich angesehen, was wiederum zur Folge hat, dass deren Einkünfte dem inländischen Steuerpflichtigen unmittelbar als eigene zugerechnet werden; die Basisgesellschaft wird "hinweggedacht".
Es ist jedoch abzugrenzen: Verfügt die ausländische Kapitalgesellschaft über eine inländische Geschäftsleitung, dann ist sie gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG hier körperschaftsteuerpflichtig. Tätigt sie vom Inland aus ihre Geschäfte, dann sind die daraus erzielten Einkünfte folgerichtig auch hier zu versteuern. Für eine umgeleitete Zurechnung auf den Gesellschafter besteht dann keine Veranlassung. Vielmehr kann unmittelbar auf die Kapitalgesellschaft Zugriff genommen werden. Anders kann es sich nur bei krassen Fällen handeln, in denen die Gesellschaft nur "vorgeschoben" wird. Sobald und solange sie aber als solche im Geschäftsverkehr tatsächlich in Erscheinung tritt, ist die Existenz der Kapitalgesellschaft auch steuerlich anzuerkennen und hinzunehmen.
Konsequen...